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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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gleich einstürzt und die Treppe sich in nichts auflöst, und spürst, wie der synthetische Teppichboden dir an den Schuhsohlen klebt. Die Summe der einzelnen Teile wird zu viel. Das ist der Moment, wo du den Rückzug antrittst und dir sagst, daß jedes Feuer irgendwann ausgeht, auch ohne deine Hilfe.
    In letzter Zeit kämpfe ich auf sechs Seiten gegen Feuer an. Vor mir sehe ich Kate, so krank, und hinter mir sehe ich Anna mit ihrem Anwalt. Wenn Jesse sich mal nicht betrinkt, pumpt er sich garantiert mit Drogen voll; Sara klammert sich an jeden Strohhalm. Und ich, ich trage meine Schutzkleidung, bin sicher. Ich habe zig Haken und Stemmeisen und Brechstangen – alles Werkzeuge, um irgendwas zu zerstören, wo ich doch eigentlich etwas brauche, was uns zusammenhält.
    Â»Captain Fitzgeral … Brian! « Julia Romanos Stimme reißt mich aus meinen Gedanken, zurück in eine Küche, die sich rasch mit Rauch füllt. Sie greift an mir vorbei und stößt die Pfanne von der Kochplatte.
    Â»Herrgott!« Ich kippe die kohlschwarze Scheibe, die mal ein Pfannkuchen war, in die Spüle, wo sie ein lautes Zischen von sich gibt. »Tut mir leid.«
    Â»Zum Glück haben wir ja noch die Eier«, sagt Julia Romano.
    In einem brennenden Haus erwacht dein sechster Sinn. Vor lauter Rauch kannst du nicht die Hand vor Augen sehen. Du hörst nichts anderes als das Tosen des Feuers. Und du kannst nichts anfassen, weil das dein Ende wäre.
    Vor mir hielt Paulie die Schlauchdüse. Eine Reihe von Kollegen halfen ihm, ein Wasser führender Schlauch ist nämlich extrem schwer. Wir arbeiteten uns die Treppe hinauf, noch gut formiert, um das Feuer aus dem Loch zu treiben, das Red ins Dach geschlagen hatte. Wie alles, das eingeengt wird, hat auch jedes Feuer den natürlichen Drang auszubrechen.
    Ich ging auf alle viere und kroch den Flur entlang. Die Mutter hatte gesagt, es sei die dritte Tür links. Das Feuer wälzte sich an der anderen Seite der Decke entlang, raste Richtung Lüftungsloch. Als der Wasserstrahl angriff, verschluckte weißer Dampf die anderen Feuerwehrleute.
    Die Tür zum Kinderzimmer stand offen. Ich kroch hinein und rief den Namen der Kleinen. Eine dunkle Form vor dem Fenster zog mich an wie ein Magnet, aber es war nur ein großes Stofftier. Ich sah in den Schränken und unter dem Bett nach, aber sie war nicht da.
    Ich wich wieder auf den Flur zurück und wäre fast über den faustdicken Schlauch gestolpert. Ein Mensch kann denken, ein Feuer nicht. Ein Feuer folgt einem berechenbaren Weg. Ein Kind tut das nicht. Wohin wäre ich geflohen, wenn ich panische Angst hätte?
    Hastig öffnete ich weitere Türen. Ein Raum war rosa, das Zimmer eines Babys. In einem anderen lagen auf dem Boden und den Etagenbetten verteilt Matchbox-Autos. Hinter einer Tür war gar kein Raum, sondern ein Schrank. Das Elternschlafzimmer lag auf der anderen Seite der Treppe.
    Wenn ich ein Kind wäre, würde ich zu meiner Mutter wollen.
    Anders als bei den anderen Zimmern drang aus diesem dichter, schwarzer Rauch. Die Tür war am unteren Rand bereits verkohlt. Ich machte sie auf, obwohl ich wußte, daß ich damit Luft hineinließ, aber ich hatte keine andere Wahl.
    Wie zu erwarten, entzündete sich der schwelende Streifen unten an der Tür und Flammen schlugen hoch. Ich stürmte hindurch wie ein Stier, spürte Funken hinten auf meinen Helm und meine Jacke niederregnen. »Luisa!« schrie ich. Ich tastete mich an der Wand entlang, bis ich den Schrank fand, klopfte laut dagegen und rief erneut.
    Es war zwar schwach, aber ich hörte deutlich das Antwortklopfen.
    Â»Wir haben Glück«, sage ich zu Julia Romano, und das ist womöglich das letzte, was sie aus meinem Mund erwartet hätte. »Saras Schwester paßt auf die Kinder auf, wenn sich die Sache länger hinzieht. Bei kürzeren stationären Aufenthalten wechseln wir uns ab – mal bleibt Sara über Nacht bei Kate und ich bin bei den beiden anderen zu Hause oder umgekehrt. Aber inzwischen ist Anna alt genug, um auch mal allein bleiben zu können.«
    Sie notiert sich etwas in ihr kleines Buch, als ich das sage, und ich rutsche unruhig auf meinem Platz hin und her. Anna ist erst dreizehn – ist das zu jung, um allein zu Hause zu bleiben? Für das Jugendamt vielleicht, aber Anna ist anders. Anna ist schon vor Jahren erwachsen geworden.
    Â»Denken Sie, daß es Anna

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