Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
solle nicht einmal darüber nachdenken, hatte sie diesen allerletzten Strohhalm aus Trotz ergriffen. Wer brauchte schon eine offizielle Stelle, um das Arrangement zu treffen? Dank der vielen Lektüre wusste Abbie genau, dass es im Grunde eine einfache Sache war. Als einzige Möglichkeit blieb, es selbst in die Hand zu nehmen. Sie schaltete in einer der Zeitungen von Bristol eine Anzeige mit Chiffrenummer: ›Möchten Sie die Leihmutter für ein Paar werden, das keine eigenen Kinder bekommen kann? Bitte helfen Sie uns! Wir wünschen uns so sehr ein Baby.‹
Nichts. Keine Antwort. »Habe ich dir doch gesagt«, meinte Tom. »Warum sollte das jemand für zwei völlig Fremde tun?«
In der folgenden Woche schaltete Abbie die Anzeige erneut, mit einem Zusatz: ›Möchten Sie die Leihmutter für ein Paar werden, das keine eigenen Kinder bekommen kann? Bitte helfen Sie uns! Spesen werden großzügig vergütet.‹
Tom war skeptisch, stand aber hinter ihr. Ihr überwältigendes Bedürfnis überwand seine natürliche Zurückhaltung. Und vier Tage später traf der Brief von Patty Summers ein, in dem sie sich als mögliche Leihmutter anbot.
Es war, als sei ein Wunder geschehen. Endlich geschah etwas. Sie trafen sich mit ihr in einem Café in Clifton, dem aufstrebenden Viertel von Bristol, in dem Patty wohnte. Abbie war in ihrem ganzen Leben noch nie so nervös gewesen. Sie zog sich fünfmal um, immer in der Furcht, die falschen Hosen oder Schuhe, die nicht angesagt genug waren, könnten Patty vor den Kopf stoßen und sie in die Flucht schlagen. Abbie brachte Tom dazu, den roten Astra zu waschen und zu polieren, bis er innen und außen glänzte.
Da sie nicht wussten, was sie zu erwarten hatten, war es eine Offenbarung, als sie Patty zum ersten Mal trafen. Sie rauschte in das Café, begrüßte Abbie und Tom wie Familienmitglieder, die man ewig nicht gesehen hatte, und betörte sie mit ihrer Wärme und ihrer Lebensfreude. Sie war wunderschön, wie Claudia Schiffer, mit funkelnden Augen und einem breiten Lächeln. Sie erzählte ihnen voller Gefühl, wie ihr das Herz aufgegangen sei, als sie ihre Anzeige in der Zeitung gelesen hatte. Sie hatte sie berührt. Wie könnte man anderen besser helfen, als dadurch, für ein Paar, das sich nicht selbst fortpflanzen konnte, ein Baby auszutragen … sie würde sich geehrt fühlen, wenn sie ihr gestatten würden, das für sie zu tun.
Abbie war fasziniert, völlig hingerissen von Patty Summers. Es blieb Tom überlassen, die notwendigen Fragen zu stellen. Nein, Patty hatte keine eigenen Kinder – sie sei nie der mütterliche Typ gewesen, habe nie Kinder gewollt –, aber sie wusste, dass sie das hier tun konnte. Sie war 26 Jahre alt, absolut gesund, hatte nie Drogen genommen, nicht einmal Zigaretten geraucht. Ihr letzter Job – in einer Bar – war ein wenig heikel geworden, als sie sich von ihrem Freund trennte, der zufällig der Besitzer jener Bar war. Darum hatte sie auch die Zeitung durchgeblättert, auf der Suche nach einer neuen Stelle. Und darum passte alles so wunderbar zusammen. Entweder suchte sie sich einen langweiligen, neuen Job, der ihr nicht gefiel, oder sie entspannte sich stattdessen, chillte ein Jahr lang und ließ ein Baby in sich heranwachsen!
Nach einer Stunde stand Abbies Entschluss fest. Um die Miete für ihre bescheidene Wohnung in Clifton zu zahlen und auch für den Rest ihrer Unkosten aufzukommen, würden sie Patty eintausend Pfund pro Monat zahlen. Mehr als sie erwartet hatten, aber nicht unangemessen viel, wenn man bedachte, was sie für sie tat. Und das Beste an Patty war ihre Bereitschaft, sofort anzufangen – kein langwieriges Warten mehr, keine weiteren Termine, bei denen einem zum millionsten Mal gesagt wurde, man müsse Geduld aufbringen, bis man denjenigen, der das sagte, einfach nur noch anschreien wollte. Patty war zu allem bereit, sprudelte vor Enthusiasmus, war ebenso begeistert wie sie.
»Eintausend Pfund pro Monat«, zischelte Tom, als Patty kurz zur Toilette ging. »Neun Monate lang.«
Aber Abbie ließ sich nicht davon abbringen. Nichts würde sie jetzt noch aufhalten. Sie hatten ihre Ersparnisse, Tom würde Überstunden schieben, und sie würde abends einen Nebenjob annehmen. »Wir werden nicht mit ihr herumstreiten. Und du wirst auf keinen Fall feilschen.« Sie packte seine Hand unter dem Tisch und drückte sie eisenhart. »Tom, denk nur an das wunderhübsche Baby, das wir haben werden! Wir ziehen das jetzt durch, und es wird jeden
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