Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Being

Titel: Being Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
von der Bahnhofsbeleuchtung.
    London, zwanzig Minuten.
    Ipswich, fünfundzwanzig Minuten.
    London?
    Oder Ipswich?
    Es war ziemlich egal. Solange es nur bedeutete: irgendwo anders.
    Ich nahm die Pistole aus meiner Tasche und forderte Kamal auf, mir den Autoschlüssel zu geben. Er zog ihn aus dem Zündschloss und ließ ihn in meine Hand fallen.
    »Und Ihr Handy«, sagte ich.
    Er zog das Handy aus seiner Tasche und reichte es mir. Ich steckte es ein.
    »Sehen Sie mich an«, sagte ich.
    Er rührte sich nicht.
    »Sehen Sie mich an, Kamal.«
    Er wandte den Kopf und sah mich an.
    »Hören Sie zu«, fuhr ich fort. »Mein Name ist Robert Smith. Ich bin sechzehn. Heute Morgen bin ich zu einer Endoskopie ins Krankenhaus gekommen. Als ich aufwachte, lag ich in einem merkwürdigen Raum auf dem Rücken. Ich konnte nichts sehen und mich nicht rühren. War bei Bewusstsein und dennoch bewusstlos. |64| Umgeben von Männern mit Pistolen. Ein Mann in einem weißen Kittel schnitt mir den Bauch auf und da waren Dinge in mir, die nicht in einen Menschen gehören.«
    Ich machte eine Pause und versuchte, mich zu erinnern, versuchte zu vergessen.
    Kamal starrte mich nur an.
    »Das ist alles, was ich weiß«, erklärte ich ihm. »Mehr weiß ich nicht darüber. Ich weiß nicht, wieso … ich weiß nicht, was es bedeutet. Ich weiß nicht, wer diese Leute sind. Keine Ahnung … ich kann nichts erklären. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich abhauen muss. Ich kann nicht zulassen, dass diese Leute mich wiederfinden.«
    Die Uhr tickte, der Regen tappte.
    Meine Blase tat weh.
    »Was verlangst du von mir?«, fragte Kamal.
    »Geben Sie mir ungefähr eine Stunde. Bleiben Sie einfach hier sitzen und warten Sie.«
    »Ich werde ihre Fragen beantworten müssen. Ryan wird alles wissen wollen.«
    »Geben Sie mir nur eine Stunde, anderthalb. Dann können Sie ihm sagen, was Sie wollen.« Ich zeigte auf den Bahnhofseingang. »Da drüben ist eine Telefonzelle. Sie können das Krankenhaus anrufen. Sagen Sie ihnen … sagen Sie ihnen …«
    »Was soll ich sagen?«
    Ich zuckte die Schultern. »Sagen Sie ihnen, was Sie wollen. Ist mir egal, sagen Sie ihnen irgendwas.«
    Kamal lächelte. »Ich werde hier warten, solange ich kann. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
    »Danke.«
    |65| Ich steckte die Pistole in meine Jacke und nahm die Aktentasche vom Rücksitz.
    »Wohin wirst du gehen?«, fragte Kamal.
    »Keine Ahnung.«
    Ich warf Kamals Brieftasche und Autoschlüssel in den Rucksack und zog den Reißverschluss hoch.
    »Also …«, sagte ich.
    Kamal streckte die Hand aus. »Viel Glück.«
    Ich sah ihm in die Augen, während wir uns die Hände schüttelten, und überlegte kurz, ob ich ihn wohl je wiedersähe, aber irgendwie wusste ich, dass es nicht dazu kommen würde.
    Ich stieg aus dem Wagen und knöpfte die Jacke zu.
    Ich atmete die Luft ein.
    Sie roch nach nassen Wiesen und Eisen.
    Ich beugte mich in den Wagen, um mich zu verabschieden, doch ein plötzlicher sengender Schmerz verknotete meinen Magen und ich schloss die Tür, ohne etwas zu sagen.
    Auf Wiedersehen, Kamal Ramachandran.
    Danke.
    Tut mir leid.
    Ich schlang mir den Rucksack über die Schulter und ging Richtung Bahnhof.

    Ich vertraute ihm nicht. Vor langer Zeit hatte ich gelernt, niemandem zu vertrauen. Ich konnte ihm nicht vertrauen. Er würde tun, was immer er für das Beste hielt für sich selbst.
    War er gut?
    War er schlecht?
    Wie dachte er über mich?
    |66| Gut oder schlecht?
    Es spielte keine Rolle.
    Vertrauen, Glauben, gut, schlecht … nichts davon spielt eine Rolle. Alles, was du tust, ist das, was du tun musst. Du folgst deinen Wünschen, erfüllst dir deine Bedürfnisse, vermeidest Schmerz. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt. Kamal würde tun, was immer er tun musste, und es lohnte nicht, darüber nachzudenken.

    Die Telefonzelle befand sich am Ende einer Senke vor dem Bahnhofseingang. Ich ging hinein, zog Ryans Messer aus der Tasche und schnitt das Telefonkabel durch.

    Im Innern des Bahnhofs waren die Toiletten verriegelt und der Fahrkartenschalter geschlossen. Ich ging hinaus auf den Bahnsteig. Ein kalter Wind blies, peitschte dicht über den Boden und pfiff um die leeren Gebäude. Die Bahnhofsuhr zeigte 20:04:42.
    Ich setzte mich auf eine Bank und verschränkte die Beine.
    Ich fragte mich, wie ich aussah. Wie ein gewöhnlicher Penner? Wie ein Betrunkener in schlecht sitzendem Anzug? Wie eine Vogelscheuche? Wie ein Verbrecher? Es spielte keine Rolle. Es war niemand da, der mich

Weitere Kostenlose Bücher