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Being

Titel: Being Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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drangen. Das Schweigen des Zimmers, die Zufallslaute draußen auf dem Flur … hohl und nicht zuzuordnen, zu niemandem gehörend, dumpf widerhallend mit unerwünschtem Lärm.
    Ich konnte nicht denken.
    Mein Kopf pulsierte.
    Meine Beine waren schwer.
    Meine Kehle trocken.
    Ich ging ins Badezimmer, trank aus dem Wasserhahn, dann öffnete ich mein Hemd und untersuchte im Spiegel meinen Bauch. Die Naht war verkrustet und schwarz, die Einstiche von einer merkwürdigen kupfernen Färbung umgeben. Die Wunde war geschlossen, fast verheilt, und die Blutergüsse zurückgegangen und nur noch leicht gelblich-blau. Ich fuhr mit der Hand über die Wunde.
    Es schmerzte nicht. Überhaupt nicht.
    Ich wickelte den Verband an meinem Arm ab. Alles, was von dem Schnitt übrig war, war eine knubbelige Wulst verhärteter Haut. Ich beugte mein Handgelenk. Die Wulst brach etwas auf und ein Tropfen klarer Flüssigkeit sickerte heraus. Ich wischte ihn ab und umwickelte den Arm wieder neu.

    |94| Das hatte nicht einfach mit schneller Heilhaut zu tun. Ich wusste es jetzt. Hier ging es nicht um Schnittwunden und Blutergüsse … das hier war etwas anderes.
    Das hier war etwas, was es gar nicht geben durfte.
    Ich schaute wieder in den Spiegel. Schau, sagte ich mir, da ist nur ein Körper. Ein Gesicht. Nichts, was nicht hinpasst. Ein Etwas aus Haut und Knochen. Mit Lippen, Zähnen, Augen, einem leichten Ansatz von Bart. Und unter der Haut …?
    Mein Spiegelbild flimmerte und für einen Augenblick sah ich, was ich sein könnte. Ich sah Streben, Käfige und Schalen aus Knochen oder etwas, das wirkte wie Knochen. Ich sah rot-weiße Streifen von zerfetztem Absperrband, Höhlen, Löcher und Scharniere. Ich sah Hebel und Drähte und vielfarbige Kanäle, Gebläse und Pumpen, Schläuche und Rohre, merkwürdige weiße Beutel, gemaserte Gefäße, Gallert und Flüssigkeiten, Metallschnüre …
    Himmel.
    Ich sah die Wirbelsäule einer riesigen Schlange, das ausgehöhlte Antlitz eines titaniumweißen Schädels.
    Schau dich an.

    Der Spiegel flimmerte wieder und die Bilder verschwanden. Ich zog mich aus, stellte die Dusche an und versuchte, die Erinnerungen fortzuspülen.

    Eine halbe Stunde später war ich zurück auf dem Bett und von Neuem dabei nachzudenken, was ich tun sollte, als ich plötzlich einen dumpfen Schlag vor der Tür hörte. Nichts Großes, nur ein schwacher kleiner Schlag, doch er reichte, um meine zerrütteten |95| Nerven in Unruhe zu versetzen. Ich griff nach der Pistole und richtete sie auf die Tür. Ich hörte gedämpfte Schritte, die sich leise über den Flur bewegten. Ich horchte angespannt. Die Schritte waren noch immer da, aber sie entfernten sich jetzt von meiner Tür, und als ich einen weiteren schwachen Schlag hörte und noch einen, senkte ich die Pistole und entspannte mich.
    Zeitung am Morgen?
    Ja, bitte.
    Kein Grund zur Sorge, es war nur die Zeitung.

    Wieso hatte ich um eine Morgenzeitung gebeten? Weil das jeder gewöhnliche junge Mann so gemacht hätte, und das war ich – ein gewöhnlicher junger Mann.
    Gewöhnliche Jacke, gewöhnliches Hemd, gewöhnliche Zeitung am Morgen.

    Das Erste, was ich sah, als ich die Tür öffnete und die Zeitung aufhob, war ein Foto von jemandem, der aussah wie ich. Ähnliches Gesicht, ähnliche Augen, ähnlicher Mund. Dann schaute ich genauer … und sah: Das
war
ich. Ich konnte es nicht fassen. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Es war da – auf der Vorderseite des
Daily Express
, unten links in der Ecke. Ein Foto von mir. Ich hatte es erst vor ungefähr sechs Monaten machen lassen. Auf dem Original sah ich gar nicht so schlecht aus, aber die Körnigkeit des Zeitungsdrucks ließ mich undurchschaubar und hager erscheinen, wie einer aus der Unterwelt.
    »Scheiße«, flüsterte ich, als ich die Zeitung zusammenknickte und in mein Zimmer zurückging. Ich schloss die Tür und verriegelte sie, dann schlug ich die Zeitung erneut auf.
    |96| Das Foto war immer noch da.
    Die Bildzeile darunter lautete:

    ROBERT SMITH: AMOKLAUF

    Ich starrte die Worte eine Weile an – ROBERT SMITH: AMOKLAUF –, dann zwang ich mich mit einem flauen Gefühl im Magen, die Geschichte zu lesen.

    Ich setzte mich wieder aufs Bett und las den Artikel noch einmal, um sicherzugehen, dass ich mich nicht irrte, doch ich wusste, ich vergeudete nur meine Zeit. Die Worte standen noch immer da –
Professor Ian Casing … zahlreiche Stichverletzungen … Robert Smith … brutaler Mord …
    Ich starrte ins Leere, versuchte zu denken

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