Beinssen, Jan
gerade erst gegangen. Sie haben ihn knapp verpasst und müssten ihm eigentlich noch in der Tür begegnet sein. Was für ein Pech …«
15
»Und nun?« Sina sah ihre Freundin betreten an, nachdem sie das Gebäude verlassen hatten. »Quartieren wir uns etwa solange in der ätzenden Kreuzberger Wohnung ein, bis Schmidbauer von seiner Dienstreise zurückkehrt?«
»Nein«, gab Gabriele grummelnd von sich.
»Also brechen wir die Mission ab und fliegen nach Hause?«, fragte Sina mit aufkeimender Hoffnung.
»Nein«, antwortete Gabriele barsch.
Was denn nun? Sina stellte sich Gabriele direkt gegenüber. »Du willst nicht auf Schmidbauer warten, aber heimreisen magst du auch nicht. Gibt es denn eine dritte Alternative, die ich übersehen habe?«
»Ja, die gibt es.« Gabriele schob sie beiseite, trat bis an den Bordstein vor und hob den Arm.
»Was tust du da?«, wollte Sina wissen.
»Ich winke nach einem Taxi.«
»Wofür? Wohin wollen wir denn?«
»Zum Flughafen! Ich bin es nämlich leid, ständig einen Schritt hinterherzuhinken. Ich will endlich selbst Lenkerin der Schlacht sein.«
»Das bedeutet?«, fragte Sina gleichermaßen überrascht wie skeptisch.
»Dass wir uns Schmidbauer an die Versen heften. Wir fangen ihn ab, noch ehe er sein Gepäck aufgegeben hat.«
Der Taxifahrer brachte Gabriele beinahe um den Verstand. Mit stoischer Ruhe und doch voller Unsicherheit hangelte er sich von Kreuzung zu Kreuzung und las die Namen auf den Richtungsschildern, wobei er sich jedes Mal weit vorbeugte, als wäre er kurzsichtig. Wollte oder konnte er nicht schneller?
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir es eilig haben«, drängte Gabi, die neben Sina auf der speckigen Rückbank des betagten Benz saß.
»Im Osten kenne ich mich nicht so gut aus«, gestand der Fahrer ein, um gleich darauf freimütig zu erklären: »Wenn Sie ein anderes Taxi wollen, fahre ich rechts ran. Gar kein Problem!«
»Nein, nein«, wiegelte Gabi ab. »Aber es kann doch nicht so schwer sein, einen Flughafen zu finden.«
»Nach Tempelhof hätte ich Sie in fünf Minuten gebracht, aber Schönefeld – das ist für mich noch immer die Zone.«
Sina legte ihre Hand auf Gabis Arm und gab ihr damit zu verstehen, besser still zu sein und den Fahrer nicht mit weiteren Diskussionen davon abzubringen, den Ostberliner Flughafen endlich zu finden.
Das Taxi quälte sich durch mehrere Baustellen, bevor es in zweiter Reihe neben einer Schlange von Wartburg-Taxen zum Stehen kam. »Bitte sehr, die Damen«, sagte der Taxifahrer, »da wären wir.« Gabi beugte sich vor, um zu zahlen, als der Chauffeur noch wissen wollte: »Wohin fliegen wir denn? Malle, Ibiza oder geht es auf Dienstreise?«
»Weder noch«, mischte sich Sina ein. »Wir wollen uns von jemandem verabschieden.«
»Abschied – von wem? Vater, Freund, Verflossener?«, quasselte der neugierige Fahrer.
»Dreimal daneben. Es geht um etwas Geschäftliches«, erklärte Sina und fing sich einen vorwurfsvollen Blick von Gabriele ein.
»Für welche Firma arbeiten Sie denn?«, fragte der Fahrer munter weiter, obwohl er das Fahrtgeld bereits von Gabi bekommen hatte.
»Die Treuhand«, log Sina.
»Genug geplaudert«, ging Gabi resolut dazwischen und öffnete die Tür. »Wir haben’s eilig.«
»Das wundert mich aber«, meinte der Fahrer.
»Was?« Sina machte noch immer keine Anstalten auszusteigen.
»Dass die Kollegen, von denen Sie sich verabschieden wollen, dieses Terminal hier benutzen.«
Gabriele fragte schon etwas genervt: »Welches sollten Sie denn sonst benutzen?«
Der Taxifahrer schürzte seine dicken Lippen. »Soviel ich weiß, nutzt die Treuhand mehr das GAT. Zumindest halten sie es in Tempelhof so.«
»GAT? Können Sie nicht mal Klartext sprechen?«, fuhr Gabi ihn an.
Der Fahrer schreckte zusammen und wirkte für Sekundenbruchteile eingeschüchtert. Doch er fand schnell wieder zu seiner berlinerischen Selbstgefälligkeit zurück: »GAT, General Aviation Terminal: Das ist die Allgemeine Luftfahrt, also der Bereich
für die kleinen Hüpfer. Die Businessjets. Die Treuhand setzt sie ein, weil es schneller geht. Sie haben doch sicher schon gehört: Der Kanzler wünscht sich blühende Landschaften. Die Treuhand-Jungs müssen fix sein, um überall genügend Blümchen zu pflanzen.« Der Fahrer lachte schallend über seinen eigenen, dünnen Witz.
Gabriele verzog den Mund und wollte gehen. Doch Sina bremste sie, indem sie den Chauffeur weiter ausquetschte: »Können Sie uns zu diesem GAT fahren? Ich
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