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Beinssen, Jan

Titel: Beinssen, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goldfrauen
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unweigerlich klein und nichtig vorkommen musste.
    Gabriele zahlte den Taxifahrer, der sie hierher gebracht hatte. Während die beiden Frauen auf das Hauptportal des Gebäudes zugingen, erklärte Sina: »Über die Staatsbank habe ich auch einige Erkundungen eingeholt: Sie hieß in den ersten Jahren nach ihrer Gründung noch Notenbank und kontrollierte den Geldumlauf innerhalb der DDR. Sie kaufte und verkaufte außerdem Wertpapiere und Edelmetalle. Jetzt wird sie von der Treuhand abgewickelt und in Teilen anderen Banken zugeschlagen. Schmidbauer spielt dabei wohl eine wichtige Rolle.«
    In der großen Schwingtür kamen ihnen Männer in dunklen Anzügen entgegen. Gabriele und Sina grüßten, erhielten aber keine Antwort. Sie gelangten in eine Vorhalle, deren klassische Würde durch Einbauten in
    sozialistischer Sachlichkeit geschmälert wurde: Ein Empfangstresen in hellem Furnierholz stand im krassen Gegensatz zu den vornehmlich dunklen Tönen der Wände und Deckenverkleidung. »Was für ein gnadenloser Stilbruch«, empörte sich Gabriele.
    Sina nickte wenig beeindruckt und dirigierte ihre Freundin zur Empfangsdame. Im Gegensatz zum Interieur der Bank war bei der jungen Frau die Wende bereits angekommen. Sie war den aktuellsten westlichen Medieneinflüssen entsprechend gestylt und gerade damit beschäftigt, ein weit verbreitetes Klischee von Empfangsdamen zu bestätigen: Sie manikürte sich die Fingernägel.
    »Guten Tag«, meldete sich Gabriele deutlich vernehmbar, nachdem die Frau keine Anstalten machte, zu ihnen aufzusehen.
    »Ja?«, fragte sie knapp, immer noch ohne sie anzusehen.
    »Wir möchten bitte zu Herrn Schmidbauer«, sagte Gabriele unterkühlt.
    Gemächlich legte die junge Frau die Nagelfeile beiseite und wandte sich ihrer Telefonanlage zu. »Welche Durchwahlnummer?«, fragte sie dann.
    Gabriele lächelte matt. »Die kennen wir nicht. Wir sind zum ersten Mal hier.«
    Endlich gönnte die Empfangsdame ihnen einen Blick und zeigte dabei zwei wasserblaue, ebenso hübsche wie naive Augen. »Aber ohne die Nummer kann ich sie nicht anmelden.«
    Gabriele sah Sina an, die wiederum ihre Freundin
    mit ratlosem Schulterzucken bedachte. »Können Sie die Nummer nicht nachschlagen? Sie haben doch sicher ein internes Telefonbuch«, schlug Gabriele vor.
    Die junge Frau reagierte mit einem gequälten Seufzen. Sie nahm eine mit grauem Kunstleder ummantelte Kladde zur Hand und fragte: »Mit dt oder nur mit d?«
    »Bitte?«, fragte Gabriele.
    »Sie will wissen, wie Schmidbauer buchstabiert wird«, begriff Sina und gab dem Empfangsfräulein auch gleich die Antwort.
    Sehr langsam und umständlich blätterte die Frau in der Kladde und kam sich dabei mit ihren langen Nägeln selbst ins Gehege. Schließlich fand sie die Nummer, zog einen Schmollmund und teilte dann formvollendet mit: »Herr Schmidbauer ist einer unserer Top-Manager. Er hat ein Vorzimmer.«
    »Und das heißt?«, fragte Sina.
    »Dass ich ihn nicht direkt anwählen kann, sondern nur sein Vorzimmer.«
    »Dann tun Sie das bitte«, sagte Gabriele streng, aber gerade noch freundlich.
    Ihr Gegenüber sah sie mit gleichmütiger Miene an: »Dafür bräuchte ich bitte die Nummer des Vorzimmers.«
    Gabriele atmete stoßartig ein, um gleich darauf mächtig Luft abzulassen. »Das gibt es doch gar nicht! Wollen Sie uns auf den Arm nehmen? Melden Sie uns bitte jetzt und sofort bei Herrn Schmidbauer!«, ordnete sie an.
    Die junge Frau ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: »Ohne die Durchwahlnummer kann ich nicht …«
    Sina kürzte die sich abzeichnende Farce ab, indem sie über den Tresen griff und sich die graue Kladde vornahm. Im alphabetischen Personenverzeichnis fand sie unter dem Buchstaben S schnell den Namen Schmidbauer und die entsprechende Seitenzahl seiner Abteilung. Dort wiederum war die Nummer seines Sekretariats zu finden. Sie legte sie Kladde zurück und deutete mit dem Finger auf die entsprechende Zeile.
    Statt mit Feindseligkeit reagierte die Empfangsdame mit Arroganz. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wählte sie die Nummer, brachte in sachlichem Tonfall ihr Anliegen vor und hörte sich die Antwort ihrer Kollegin mit unbewegter Miene an. Daraufhin legte sie den Hörer langsam zurück auf die Gabel. Ihre Gesichtszüge waren entspannt und voll der Genugtuung, als sie Gabriele und Sina gegenüber verkündete: »Herr Schmidbauer ist nicht mehr im Hause. Er fliegt von Schönefeld zu einem wichtigen Termin.« Sie setzte ein katzenhaftes Lächeln auf. »Er ist

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