Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
Vom Netzwerk:
also …« Ich rieb mir die Rippen, um das Gefühl loszuwerden. »Da wäre noch die Sache mit deinem Auto. Wenn ich es vielleicht heute Nacht noch mal haben könnte, um die ganzen Sachen zu meinem Wagen zu bringen …«
    Sie sagte mir, wo mein Auto stand. Ich würde meine Siebensachen in ihrem Wagen dorthin transportieren und alles umladen. Sie würde morgen mit der Straßenbahn hinfahren und einfach in ihr Auto umsteigen. Den Schlüssel würde ich ihr im Handschuhfach zurücklassen, sie hatte einen Reserveschlüssel.
    Den Bullen würde sie erzählen, ich wäre überraschend von einer Bekannten angerufen worden, die zufällig ein Last-Minute-Ticket für einen New-York-Flug an der Hand gehabt hatte und noch jemanden zum Mitreisen suchte.
    Alles kein Problem.
    Nein, das einzige Problem war, dass mein bisheriges Leben hier und jetzt unwiderruflich endete. Dieser Einschnitt schien mir weit bedeutender als das Ereignis in der Silvesternacht, das meinen Körper verändert hatte.
    Jetzt musste meine Seele endgültig nachziehen. Ich musste nicht mehr und nicht weniger fertigbringen, als mein ganzes Dasein über Bord zu werfen. Ich musste alles hinter mir lassen, meine Jugend, meine Familie, meine Freunde, meine Träume. Nicht nur für heute oder morgen oder ein Jahr, sondern für immer.
    Ich würde ein Wesen der Nacht sein, heimlichtuerisch, raffiniert, oft auf der Flucht und immer auf der Hut.
    Plötzlich hatte ich Angst. Jetzt, an der Schwelle des Unvermeidbaren, fürchtete ich mich vor der Zukunft, von der ich definitiv nur wusste, was sie nicht für mich bereithielt: keinen Scampisalat, kein Vanilleeis, keinen Champagner, keine Strandspaziergänge im Sonnenlicht. Keine Kinder.
    Und dennoch hing das Leben, das vor mir lag, nur von mir ab. Ich selbst hatte es in der Hand, ob ich im Dunkeln der Höhle sitzen und die Schattenbilder an der Wand anstarren würde, oder ob ich neue Freiheiten suchen und sie erfahren würde.
    Alle Möglichkeiten zur Veränderung lagen in mir selbst begründet. Ich musste sie nur zu finden wissen.
    *
    Solveigs Wagen war vollgepackt bis unters Dach mit dem Fernseher, meinem Bettzeug, dem Koffer, Taschen, Tüten und Schachteln. Ich erreichte den Parkplatz in R. in weniger als zwanzig Minuten und hatte kurz darauf das ganze Transportgut in meinen Wagen umgeladen, obwohl es diesmal noch mehr Probleme mit dem Platz gab, zwangsläufige Folge des Unterschieds zwischen Klein- und Kleinstwagen. Der Größe nach verhielten sich unsere beiden Autos zueinander wie Schuhkarton zur Zigarrenschachtel.
    Als ich meinen Wagen schließlich langsam vor Martins Haus ausrollen ließ, war es Viertel nach vier. Ich holte die Schachtel mit dem Zylinder und den Karton mit dem Schachspiel vom Rücksitz und stieg aus. Als ich klingelte, lächelte ich – möglichst versöhnlich, wie ich hoffte – in die Infrarot-Kamera oben an der Mauer beim Portal.
    Allerdings hatte ich keine Angst, dass Martin mich nicht einlassen würde oder dass er nicht zu Hause war, denn für mich stand außer Frage, dass weder Mauern noch Türschlösser oder Fensterriegel mich vom Betreten des Hauses würden abhalten können. Ich hatte im Laufe des letzten Tages eine schwere Tür aus den Angeln gerissen, ein Treppengeländer zerquetscht und einen Kingsize-Fernseher fünf Stockwerke nach unten getragen, und all das hatte mich nicht mehr Kraft gekostet als Haarekämmen oder Zähneputzen.
    Meine Überlegungen zu einem etwaigen Einbruch erwiesen sich als gegenstandslos, denn schon wenige Augenblicke nachdem ich geläutet hatte, ertönte ein Summen, und das Tor sprang auf. Ich ging über den gepflasterten Gehweg zum Haus.
    Martin stand in der offenen Haustür. Seine Umrisse hoben sich scharf gegen einen rötlichen Lichtschein ab, der aus dem Inneren des Wohnzimmers kam. Ich schnupperte und roch den Duft von brennendem Holz. Er hatte ein Feuer im Kamin entzündet.
    »Hallo«, sagte ich und hasste mich für die Unsicherheit in meiner Stimme.
    »Guten Abend, Lucia. Ich habe dich erwartet.« Er lächelte mich an, und mein Herz machte einen Satz.
    »Du warst beim Zahnarzt«, stellte er fest.
    Ich zeigte glücklich meine blanken Zähne. Er nickte beifällig. »Dein Mann?«
    »Mein Ex.«
    Er ging nicht weiter darauf ein. »Komm«, sagte er, nahm meinen Arm und führte mich in den Salon. Die Tür war wieder eingehängt, wie mir auffiel, als Martin sie nachlässig aufstieß.
    Die Schachtel unterm Arm, blieb ich wie angewurzelt stehen. War das etwa derselbe Raum

Weitere Kostenlose Bücher