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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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anders als viele andere Mädchen, abgesehen natürlich von deinen Kiefergelenkproblemen.«
    »Danke schön«, sagte ich säuerlich.
    Er achtete nicht auf meinen Einwurf. »Dann sah ich dich in der Klinik wieder. Noch ein verrückter Zufall, dachte ich, nichts weiter. Du konntest mich sehen, doch das schob ich darauf, dass ich wegen des unerwarteten Wiedersehens unaufmerksam war. So oder so, ich lehnte es ab, darüber nachzudenken.«
    Damit war es ihm anscheinend ganz ähnlich ergangen wie mir. Im Grunde hatte ich es sogar noch besser gehabt als er. Ich hatte mir wenigstens vorübergehend einen netten kleinen Flashback einbilden können.
    Martin holte tief Luft. »Aber dann, auf der Feier …« Er schwieg eine Weile, bevor er schleppend fortfuhr: »Zuerst hatte ich gar nicht hinkommen wollen, doch dann … tat ich es doch. Ich war sehr einsam und sehnte mich nach Gesellschaft. Ich werde nie vergessen, wie ich die Treppe hinaufkam und dich dort vor dem Spiegel stehen sah, in diesem roten Kleid, das Haar offen, und diese Augen …« Er starrte mich an. »Ich musste erkennen, dass es wahrlich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als wir uns in unserer Schulweisheit träumen lassen.«
    Genau das, so erinnerte ich mich, hatte ich selbst auch gedacht, als er zu uns in die Wohnung gekommen war! Eine bemerkenswerte Duplizität!
    »Als ich dich so dort vor dem Spiegel stehen sah, sagte mir mein Instinkt sofort, dass dies kein Zufall mehr sein konnte. Und doch war ich entschlossen, mich zu amüsieren.«
    »Katz und Maus zu spielen«, warf ich korrigierend ein. »Und zwar mit mir!«
    Er verzog in gespielter Reumütigkeit die Mundwinkel. »Ich gebe zu, dass mir das besonders viel Spaß gemacht hat. Eine Weile ging es gut, doch irgendwann wurde es zu viel. Ich merkte, dass ich dir zusetzte, und schließlich entschied ich mich, das Spiel zu beenden und zu gehen. Aber weit kam ich nicht. Eine innere Macht trieb mich zurück zu dir. In dein Bett. Ich wollte dich und musste dich haben.«
    »Und du bist ins Wasser gesprungen, obwohl du wusstest, wie tief es ist«, brachte ich mühsam hervor.
    Er lächelte flüchtig. »Wir sind beide ertrunken.«
    »Wusstest du da schon, dass ich mit ihr verwandt bin?«
    »Ich wusste, dass es eine familiäre Verbindung geben muss, doch welche das genau ist, habe ich gerade zum ersten Mal von dir gehört.«
    »Du hast mich dich beißen lassen, um es ihr heimzuzahlen«, warf ich ihm vor. »Du hast mich verwandelt, weil sie dich verwandelt hat.«
    Er lachte über diese hirnrissige Bemerkung, doch dann hielt er grübelnd inne. »Dieses Ereignis an Silvester erfordert in der Tat eine differenzierte Interpretation. Mein Schock über dein eigenmächtiges Verhalten hat sich erstaunlicherweise sehr in Grenzen gehalten. Tatsächlich erschien mir die Art, wie du mich exakt im Augenblick höchster Wehrlosigkeit gebissen hast, im Rückblick sogar als folgerichtige Antwort auf eine unbewusste Einladung und somit letztlich als die Erfüllung verborgener Sehnsüchte.« Er machte eine nachdenkliche Pause. »Die tiefenpychologischen Implikationen sind nicht zu übersehen. Ich sprach mit dir bereits über das Thema, falls du dich daran erinnerst.«
    Ich schnaubte. »Verschon mich mit deinem akademischen Mist und sag mir, was Sache ist. Wie soll das jetzt hier mit uns weiterlaufen?«
    »Das, meine liebe Lucia, liegt ganz bei dir. Ich sagte dir bereits, dass du mein Gast bist, solange du es wünschst.«
    Oh, Scheiße, dachte ich.
    Was jetzt? Erst mal raus hier, nachdenken.
    »Super, dann wär das ja schon mal in Butter«, sagte ich gewollt fröhlich. Dann schaute ich auf meine Armbanduhr. »Oh, noch nicht mal fünf. Mehr als genug Zeit für einen kurzen Spaziergang.«
    Ich stand auf und ging in die Halle, wo ich in meine Jacke schlüpfte.
    Er war mir gefolgt. »Mir ist nicht nach Spazierengehen zumute.«
    »Ich dachte eher an einen kleinen Waldlauf.«
    »Auch danach steht mir nicht der Sinn.«
    »Kann ich verstehen. Mit hundertfünfzehn ist man wohl aus dem Alter raus. Na, dann mach ich mich mal alleine auf die Socken. Äh … Hast du vielleicht einen Hausschlüssel? Dann muss ich dich nachher nicht rausklingeln.«
    Er hatte einen und reichte ihn mir mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck. »Vergiss nicht die Zeit.«
    »Nein, ich pass schon auf.« Ich schob den Schüssel in meine Hosentasche und winkte lässig. »Ciao, bis später.«
    Er blickte mir unbewegt nach, als ich mit federnden Schritten in die Nacht

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