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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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für Lügen?«
    »Dummes Zeug halt. Das ist keine Übersetzung, das ist Schwachsinn. Wenn davon auch nur die Hälfte stimmen würde, wäre Lucia eine völlig wahnsinnige Person gewesen. Was sie ja nachweislich nicht war.« Mama schnaufte verächtlich. »Er hat allen Ernstes geschrieben, sie hätte die Soldaten gebissen. Und ihr Blut getrunken. Wie ein Vampir! Und angeblich hat sie ihnen auch ihr eigenes Blut eingeflößt. Ist das nicht ekelhaft?«
    Ich leckte mir nervös über die Lippen. »Eh … ja. Wieso war der Text eigentlich auf Italienisch? Sie hat doch in einem französischen Lazarett gearbeitet, oder?«
    »Weil es ein italienischer Mönch war, der damals alles aufgeschrieben hatte. Er hat den Bericht dem Kloster übergeben, und von da kam er nach dem Krieg in den Besitz der Familie, wo man dann später die Übersetzung veranlasst hat. Die erste Übersetzung stammte von einem Freund der Familie, einem alten Vikar, der wohl mal für ein paar Jahre im Vatikan gearbeitet hatte. Ich gebe ja zu, man konnte einiges nicht richtig lesen, aber die Grundaussage war doch wenigstens klar: Sie war der Engel der Soldaten.«
    Mir war das bei der Lektüre nicht unbedingt so vorgekommen, doch dies war nicht der Zeitpunkt, das Thema kontrovers zu diskutieren.
    »Was der Luigi da jetzt auf einmal rauslesen will, ist billigster Grusel. Der Typ hat zu viele üble Filme gesehen. Nur der letzte Teil ist meiner Meinung nach richtig übersetzt, weil sich das mit der anderen Version einigermaßen deckt. Wohlgemerkt: einigermaßen. Von der Sache mit den Augen und den Händen und Füßen hatte in der ersten Übersetzung am Schluss nichts gestanden.«
    Den Schluss kannte ich nicht, denn ich erinnerte mich, dass ich schon vor dem Ende mit dem mühseligen Entziffern der alten Übersetzung aufgehört hatte.
    »Wie war noch mal der Schluss?«
    »In der alten Version? Da hieß es nur, sie wurde tot aufgefunden, ermordet, wahrscheinlich von herumziehenden Deserteuren.«
    »Und in der neuen Fassung?«
    »Du kannst es selber lesen. Warte, ich hol’s dir rasch.«
    Als sie mit einem Blatt Papier zurückkam, tauchten auch Papa und Martin wieder auf. Ich faltete den Bogen zusammen und schob ihn beiläufig in die Hosentasche.
    »Du kannst es ruhig behalten. Ist sowieso Schrott.«
    Papa gähnte herzhaft und schaute auf die Uhr. »Oh, schon so spät.«
    Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war halb zehn.
    »Dann sollten wir wohl lieber aufbrechen«, meinte Martin.
    Wir verabschiedeten uns, und es fiel mir schwer, die Tränen zurückzuhalten. Ich drückte Papa so fest, dass seine Rippen vernehmlich knackten. Er ächzte erschrocken. »Kind, warst du schon immer so stark?«
    »Entschuldige«, sagte ich reuevoll. Bei Mama fiel meine Umarmung bedachtsamer aus, aber nicht weniger innig.
    »Passt auf euch auf«, stieß ich mit abgewandtem Gesicht hervor.
    Mein allzu offensichtlicher Abschiedsschmerz irritierte sie. »Wir sehen uns doch morgen auf der Beerdigung.«
    »Auf Wiedersehen.« Martin gab meinen Eltern die Hand, bei meiner Mutter deutete er als Dreingabe auf seine liebenswürdig-altmodische Art eine Verbeugung an, was sie, all ihrer schnodderigen Alt-Achtundsechziger-Auffassung von Benimmregeln zum Trotz, über die Maßen zu entzücken schien.
    »Du kommst doch auch mit zur Beerdigung?«, fragte sie ihn.
    »Ich werde eure Tochter ganz sicher nicht allein am Grab ihrer Großmutter weinen lassen«, versetzte er ebenso raffiniert wie diplomatisch. Seine Augen funkelten im Licht der Dielenlampe.
    *
    »Im Lügen bist du gut«, sagte ich auf der Rückfahrt nachdenklich zu ihm.
    »Es war keine direkte Lüge.«
    »Das meine ich ja. Du hast gelogen, ohne eigentlich die Unwahrheit zu sagen. Das ist eine Kunst.«
    »Das ist Überlebenstaktik. Du wirst es auch noch lernen. Verschweigen, verheimlichen, verbergen – es wird dir zur zweiten Natur werden.« Er schaute mich von der Seite an. »Obwohl ich sagen muss, dass du es schon recht gut beherrschst.«
    Das Blatt Papier schien ein Loch in meine Hosentasche zu brennen. »Meinst du damit was Spezielles?«
    »Sollte ich das denn?«
    »Keine Ahnung«, behauptete ich.
    Nachdem wir in sein Haus zurückgekehrt waren, machte er Feuer im Kamin, gab mir einen leidenschaftlichen Kuss und entschuldigte sich anschließend höflich. Er müsse sich kurz seinen Geschäften widmen, nur für ein halbes Stündchen oder so, dann stünde er mir wieder zur Verfügung.
    Ich sah mir im Wohnzimmer einen alten Film mit John Wayne an, in

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