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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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wolltest mir doch dein altes Kinderzimmer zeigen.«
    Das war frei erfunden und taugte überdies nicht viel als Ablenkungsmanöver, weil es da oben außer Farbtiegeln und Vorrichtungen zum Aufspannen feuchter Wolle nicht viel zu sehen gab. Mein Bett war zusammen mit anderen Überbleibseln aus meiner Kindheit längst auf den Dachboden gewandert, meine Poster waren abgehängt und ins Altpapier befördert worden, meine Regale und mein Schreibtisch standen in meiner und Solveigs Wohnung.
    »Komm, ich zeige dir unser Haus.« Papa stand auf. »Das heißt, es ist ja gar nicht mehr unseres. Aber egal.« Er schleppte Martin in den Keller, um seine selbst gebaute Kartoffelkiste und den neuen vollelektronischen Heizkessel vorzuführen.
    Ich half derweil Mama beim Abräumen des Geschirrs.
    »Er ist nett«, sagte sie in der Küche.
    »Ja, das ist er«, meinte ich inbrünstig.
    »Sehr groß und gut aussehend. Und elegant. Hat er Geld?«
    »Ziemlich, glaube ich.«
    »Und ist es mit euch beiden was auf Dauer?«
    »Das will ich hoffen.«
    »Es wäre dir zu gönnen nach deinem Reinfall mit Rainer.«
    Sie kippte die Teereste in den Ausguss und stellte die Tassen in die Spülmaschine. »Soll ich dir ein paar von den Keksen einpacken? Da ist unheimlich viel frisch gemahlener Hafer drin. Und ein paar Krümel echt guter schwarzer Stoff.«
    »Ach, nein … Doch, ich nehme welche mit.« Wenn Dope drin war, könnte ich immerhin dran riechen.
    Ich machte mir klar, dass ich meine Mutter an diesem Abend für sehr lange Zeit zum letzten Mal sehen würde. Möglicherweise war dies hier sogar schon unser letztes Beisammensein. Wenn ich den Kontakt aufrechterhielt, würde ich eines Tages in Erklärungsnot geraten, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie war meine Mutter, und irgendwann würde ihr auffallen, dass ich tagsüber für meine Umwelt nicht mehr existierte und dass ich nicht alterte. Ich hatte zwei Alternativen: sie entweder einzuweihen oder für immer aus ihrem Leben zu verschwinden. Dasselbe galt für meinen Bruder.
    Es war wohl besser, ich stellte mich darauf ein, loszulassen.
    Ein Tränenklumpen steckte mir in der Kehle, und in einer Aufwallung von heftiger Liebe legte ich die Arme um meine Mutter und drückte mich an sie. Dann riss ich mir ein Stück Papier von der Küchenrolle und putzte mir geräuschvoll die Nase.
    »Was ist denn, Luzie?« Mama beäugte mich misstrauisch. »Bist du etwa schwanger? Bist du deswegen so blass und fertig?«
    »Nein, es ist bloß, weil Oma tot ist.«
    Sie zog ein Gesicht. »Ach Gott, ja, ich habe auch geheult, aber man muss sich klarmachen, dass sie über neunzig war. Wir müssen alle mal abtreten, und nicht jeder hat das Glück, so alt zu werden. Letzte Woche ist zum Beispiel der Jochen Sittich gestorben.«
    »Wer war das?«
    »Der hat in dem grünen Haus neben unserem Bäcker gewohnt. Er hatte immer diese komischen stinkenden Polyesterhemden an. Du weißt schon, der bei den Horns den Garten gemacht hat.«
    »Ach so.« Ich hatte keine Ahnung, wer die Horns waren oder wo sie wohnten, geschweige denn, wer ihren Garten gemacht hatte.
    »Er war erst dreiundsechzig. Herzinfarkt und bumm . Und dabei hätte er nächsten Monat die Rente durchgehabt. Oder nimm nur die Elvira Schöpf.«
    »Wer ist das?«
    »Die Schwiegertochter von der Friederike.«
    »… ?«
    »Na, Papas Cousine in Kiel. Wir haben einen Kranz liefern lassen, aber zur Beerdigung sind wir nicht gefahren, das war uns zu weit. Jedenfalls war sie erst sechsundzwanzig. So alt wie du. Autounfall. Sie lag noch zwei Wochen im Koma, aber da war nichts mehr zu machen. Das ganze Leben noch vor sich, und dann – peng . Hirntot. Da kommt man ins Grübeln, glaub mir.«
    Mir fiel plötzlich noch eine Frau ein, die ebenfalls in meinem Alter gestorben war. Außerdem hatte sie so ausgesehen wie ich, und sie hatte meinen Namen getragen. Und sie hatte Martin so gegen sich aufgebracht, dass es sie das Leben gekostet hatte.
    »Hast du eigentlich schon die neue Übersetzung von Luigi?«
    Mama machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das kannst du vergessen. Der Typ hat keine Ahnung. Vielleicht ist er auch einfach schon zu alt.«
    »Hattest du nicht gesagt, dass er dreiundsiebzig ist?«
    »Eben. Da fängt das Sprachgedächtnis doch langsam an, nachzulassen. Außerdem ist er schon über dreißig Jahre hier. Wahrscheinlich hat er sein ganzes Italienisch längst vergessen. Jedenfalls hat er das Geld nicht von mir gekriegt. Nicht für diesen Haufen Lügen.«
    »Was

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