Beiss mich - Roman
und zu die Fenster oder die Fußböden zu putzen. Toilette, Dusche, Waschbecken reinigte jede von uns in stiller Absprache. Schmutzwäsche steckten wir abwechselnd in die Maschine, je nachdem, wem zuerst auffiel, dass der Wäschekorb im Bad voll war.
Ich hätte problemlos auf diese Weise alt werden können und litt ernsthaft unter der unangenehmen Vorstellung, dass Solveig jemanden treffen könnte, der vielleicht eines Tages meinen Platz einnehmen würde.
Obwohl ich, wie schon gesagt, mit einer überaus lebhaften Phantasie gesegnet bin, lag die Idee, dass wir beide demnächst in eine ebenso groteske wie unheimliche Dreiecksbeziehung verstrickt sein würden, so absolut jenseits all dessen, was ich mir je hätte vorstellen können, dass ich jeden für verrückt erklärt hätte, der etwas Derartiges auch nur angedeutet hätte.
*
An Weihnachten hatten wir herrliches Wetter. Draußen türmte sich der Schnee zu weißen, in der Sonne glitzernden Bergen auf. In den letzten Tagen hatte es unaufhörlich geschneit, und der Himmel hatte so tief gehangen, dass man unmöglich sagen konnte, wo der Schnee anfing und die Wolken aufhörten. Es war, als wate man durch Watte, wenn man vor die Tür musste.
Jetzt, rechtzeitig zu den Festtagen, war die Sonne hervorgebrochen und brachte die Winterlandschaft in ihrer ganzen prächtigen Vielfalt zum Strahlen. Kinder zogen lärmend mit ihren Schlitten zur nächstgelegenen Anhöhe, ganze Karawanen von Urlaubern fuhren mit Skiern auf ihren Dachgepäckträgern in bergigere Gefilde, Hundebesitzer scharrten Löcher für ihre Lieblinge in die Verwehungen am Straßenrand, verliebte Pärchen bewarfen sich im benachbarten Park mit Schneebällen, Rentner tasteten sich mit Stöcken und Schirmen vorsichtig einen Weg entlang der tief verschneiten Gehwege. Und über allem lag ein Hauch von Weihnachten, jener unbeschreiblichen Mischung aus Nostalgie und Kommerz, ein Sammelsurium aus klingelnden Glöckchen, wohliger Heimeligkeit vorm Kamin, Liebe zum Kind in der Krippe, funkelnden Lichtern am Baum.
»Weiße Weihnacht«, sagte Solveig. »Das war schon lange nicht mehr da.« Sie stand am Fenster unseres Wohnzimmers und schaute hinaus. »Morgen ist das sowieso alles weg. Wenn es erst mal aufhört zu schneien, ist es auch schon vorbei. Ein-, zweimal fährt hier ein Räumfahrzeug durch, dann war’s das mit dem Schnee.« Sie seufzte. »Schade, oder? Eigentlich müsste es immer so sein. Wieso kommt das nur alle zwanzig Jahre oder so vor?«
Darauf wusste ich keine Antwort. Ich lagerte träge und völlig übersättigt auf dem Sofa, Solveigs Geschenk ausgepackt neben mir. Zu Weihnachten hatte ich von ihr das schönste Kleid bekommen, das ich je besessen hatte, einschließlich meines Hochzeitskleides, für das Rainer seinerzeit tief in die Tasche gegriffen hatte.
Das Kleid, das Solveig mir geschenkt hatte, war von einem unbeschreiblichen Rot, einem atemberaubenden, sündigen, skandalträchtigen Rot, von einem Rot, das vom Ton her zwischen Purpur und Koralle changierte. Bei dieser umwerfenden Farbe war der Schnitt eher zweitrangig, obwohl er, für sich allein betrachtet, durchaus etwas hermachte. Es hatte einen rechteckigen Ausschnitt und tief angesetzte, schräg geschnittene kurze Ärmel, ein Arrangement, das auch den kleinsten Busen noch verlockend aussehen ließ. An der Taille lag es eng an, bis hinab zu den Knien, und erst von da ab fiel es glockenförmig bis über die Fußknöchel.
Solveig hatte vorhin, als ich es anprobiert hatte, gesagt, dass Männer für dieses Kleid zu Mördern werden würden. Ich selbst war bei meinem Anblick im Spiegel einigermaßen sprachlos gewesen angesichts all der weiblichen Formen, die da auf einmal zutage traten und von denen ich bislang nicht geahnt hatte, dass ich sie auch nur ansatzweise besaß.
»Schade, dass ich überhaupt keine Gelegenheit habe, es anzuziehen.«
»Unfug. Du ziehst es nächste Woche zu der Silvesterparty an. Ich habe allen gesagt, dass sie sich aufbrezeln sollen.«
»Du liebe Zeit. Eine Gala hier bei uns zu Hause?«
Sie nickte, und ihre Wangen färbten sich rosa. »Ich wollte das Kleid ursprünglich für mich kaufen. Aber sie hatten es nicht in meiner Größe. Da dachte ich, okay, dann sollst wenigstens du es haben. Es ist eins von den Kleidern, die man kaufen muss, wenn man sie gesehen hat.«
»Aha, so ist das.« Ich schob mir noch einen von den mongolischen Nusskrachern zwischen die Zähne. »Für wen wollten wir uns denn schön machen, hm?« Die
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