Beiss mich - Roman
Frage war rein rhetorisch und kam daher ziemlich neckisch heraus, denn ich wusste ja, wen sie beeindrucken wollte. Doch sie antwortete mir trotzdem, wobei sich ihr Gesicht eine Schattierung dunkler färbte.
»Ich habe dir doch von ihm erzählt.«
»Ach, der Weinhändler?«, tat ich überrascht.
Solveig nickte. »Ich habe ihn angerufen. Und ihn eingeladen. Er hat gesagt, er will mal schauen.«
»Und für diesen Fall der Fälle wolltest du dir dieses Wahnsinnskleid zulegen?«
Womit ich vollkommen richtiglag, denn genauso war es gewesen, nur dass ihr das tolle Kleid, das sie für sich ins Auge gefasst hatte, nicht gepasst hatte.
Selbstredend hatte sie sich für den Typ von der Weintheke ein adäquates Ersatzoutfit zugelegt, das sie mir auf der Stelle vorführte. Tiefschwarz und ausgeschnitten bis zum Nabel, lag es am Hintern so eng an, dass sie keinen Slip darunter tragen konnte. Zum Ausgleich dieses eher unerheblichen Mankos hatte sie hocherotische Strumpfbänder erstanden, mit denen sie die Spitzenstrümpfe halten wollte, die ebenfalls zu dem Ensemble gehörten.
Wie es der Zufall wollte, hatte ich selbst ihr etwas zu Weihnachten geschenkt, das wunderbar zu dieser Aufmachung passte, gerade so, als sei es eigens dafür angefertigt worden. Vor etlichen Wochen hatte ich in einem Antikladen in der Innenstadt eine wunderbare Mantille entdeckt, eine spanische Handarbeit, die mindestens fünfzig Jahre alt war. Sie war aus schwarzer Spitze, filigran und so zart wie ein Windhauch, der sacht über die Haut fährt. Dazu gehörten zwei erlesen gearbeitete Hornkämme, die seitlich im Haar festzustecken waren. Ich hatte dafür fast meine gesamte Barschaft geopfert, denn dies war eine der seltenen Gelegenheiten gewesen, etwas zu erwerben, von dem ich mit traumwandlerischer Gewissheit wusste, dass Solveig sich danach verzehren würde. Ihr Schrank war bereits voll, und sie besaß überdies die Mittel, sich die meisten ihrer modischen Eskapaden spontan leisten zu können, wenn ihr danach war. Doch es geschah nicht oft, dass ich etwas auftat, das förmlich danach schrie, von ihr in Besitz genommen zu werden.
Wir hatten uns, angetan mit unseren Geschenken, gegenseitig vor dem Spiegel bestaunt und darüber sinniert, wie gut wir es doch miteinander hatten. Zu dem fürstlichen Essen, das wir anschließend gemeinsam in der Küche einnahmen, ließen wir die tollen Kleider an. Wir verspeisten bei Kerzenlicht ein wahres Schlemmermenü, bestehend aus Kaviarhäppchen, Krebsschaumsuppe, Gorgonzolalendchen und Vanillemousse. Solveig hatte sich selbst übertroffen. Vor dem Nachtisch mussten wir die Kleider ausziehen, weil selbst bei offenen Reißverschlüssen kein Bissen mehr in uns hineingepasst hätte.
Zu Silvester würden wir uns auf den Verzehr von Häppchen beschränken müssen, um nicht wie schwangere Elefanten aufs neue Jahr anstoßen zu müssen.
Ich suchte auf dem Sofa eine bequemere Position, drehte mich behäbig auf die Seite und strich mit der Hand über das rote Kleid und dann über meinen vollen Magen. Die Mousse gluckerte mit dem Kaviar in meinem Bauch um die Wette. Ich beruhigte den Aufruhr mit einem weiteren Keks aus Solveigs Weihnachtssortiment. War es ein japanischer oder ein albanischer? Keine Ahnung. Er schmeckte jedenfalls himmlisch.
War es mir jemals so gut gegangen?
»Ich glaube, diesmal ist es was Ernstes«, sagte Solveig. Sie schaute immer noch aus dem Fenster. Das Blau des Himmels war einem jäh aufziehenden grauen Schleier gewichen, und es hatte wieder angefangen zu schneien.
Der Keks blieb mir wie Holzwolle im Hals stecken. »Was meinst du?«
»Du weißt schon, was ich meine«, sagte sie sanft. »Ich bin sehr sicher, dass er kommt. Und noch sicherer bin ich, was sich daraus ergibt. Für ihn und mich.«
Das war der Moment, vor dem ich mich gefürchtet hatte.
Scheiße, dachte ich. Und das zu Weihnachten.
5. Kapitel
D en zweiten Feiertag hatte ich für eine Leseorgie verplant. Das Buch, das ich mir zu diesem Zweck zugelegt hatte, gefiel mir jedoch nicht, und die Filme, die im Fernsehen liefen, hatte ich alle schon gesehen. Solveig war weggegangen, um eine Bekannte zu besuchen, also vertrieb ich mir die Zeit damit, mehr über die berühmte Lucia in Erfahrung zu bringen. Zu meiner Enttäuschung war der eigentliche Bericht über Lucia auf Italienisch, in einer schlampigen, nur mühsam zu entziffernden Schrift. Allerdings hätte es mir auch nicht viel genützt, wenn das Gekrakel besser lesbar gewesen wäre, denn
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