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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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Tod.
    Die übernächtigte Assistentin saß in einem Glaskasten. Sie tippte meine Daten in den PC, heftete die Überweisung ein und deutete dann auf die Stuhlreihe im Gang, wo zwei Patienten warteten, ein alter Mann im Trainingsanzug und eine dickliche Frau in einem blaugeblümten Morgenmantel. Beide unterhielten sich.
    »Sie werden dann aufgerufen. Dauert vielleicht eine halbe Stunde.«
    Ich setzte mich neben die beiden anderen und schloss die Augen. In der vergangenen Nacht hatte ich nicht allzu gut geschlafen. Es hatte unablässig gestürmt, der Wind hatte ums Haus geheult und bis zum Morgen wieder Unmengen von frisch gefallenem Schnee aufgetürmt. Die Streudienste waren heute früh bereits in vollem Einsatz, kamen aber kaum mit der Beseitigung der Schneemassen nach.
    Halb dösend, halb wachend lauschte ich der Unterhaltung.
    »Ja, wenn ich es doch sage«, meinte die Frau. »Ich habe es aus erster Hand. Von der Oberschwester. Sie hat mit dem Chefarzt drüber gesprochen. Als ich gestern zur Blutabnahme war. Der Schrank war irgendwie geöffnet worden, das Blut weg. Und keiner wusste, wie.«
    »Und dabei arbeiten sie da in Wechselschichten. Soweit ich weiß, ist sowieso rund um die Uhr jemand da.«
    »Das habe ich auch gehört.«
    »Angeblich haben sie sogar extra ein neues Schloss eingebaut.«
    »Sie haben sogar einen Safe aufgestellt«, sagte die Frau. »Ich habe das Ding selber gesehen. Als sie es da rübergebracht haben.«
    Ich öffnete ein Auge und sah gerade noch, wie sie den Gang entlangzeigte.
    »Sie sollten vielleicht lieber Wachen aufstellen«, sagte der Mann.
    »Ja, wenn’s Geld wäre oder Diamanten oder so, da könnte man das ja noch verstehen. Aber bei Blut? Wer klaut schon Blut?«
    Ich öffnete das andere Auge. »Ein Vampir«, schlug ich zwinkernd vor.
    Die Frau starrte mich an. Sie war vielleicht Mitte fünfzig, wirkte von Medikamenten aufgeschwemmt und trug einen Verband über dem rechten Ohr. »Daran habe ich auch schon gedacht.«
    »Die gibt’s doch nur im Kino«, wandte der Mann verächtlich ein.
    »Sagen Sie das nicht«, meinte ich. »Haben Sie nicht von den Pferdekadavern gelesen? Vielleicht ist es ein Serientäter.«
    »Genau«, rief die Frau aus.
    »Quatsch«, schnaubte der Mann. »Wozu dann das Blut klauen, wenn er sich doch jederzeit die Pferde schnappen kann?«
    »Na, weil er Menschenblut lieber mag!«
    »Er?«, fragte der Mann.
    »Der Vampir.« Der Frau war anzumerken, wie ernst es ihr damit war. »Er kommt bei Nacht und Nebel durchs Fenster geflogen.«
    »Hier unten gibt’s keine Fenster«, wandte der Mann ein.
    »Und wenn schon. Da gibt es Mittel und Wege. Die können sich in Fledermäuse verwandeln.«
    In diesem Augenblick sah ich ihn. Martin Münchhausen – wenn er, was ich im selben Moment spontan bezweifelte, wirklich so hieß – kam gemessenen Schritts den Gang entlang. Sein Haar war so schwarz, dass sich der Widerschein der Beleuchtung darin spiegelte, und seine Augen waren von den rußfarbenen langen Wimpern überschattet. Wieder trug er einen Mantel aus edlem Stoff, doch es war nicht derselbe wie neulich; dieser hier war eher wie ein Trenchcoat geschnitten, mit Gürtel und doppelter Knopfreihe, und der Schal, den er trug, war ordentlich übereinandergeschlagen und unter die Revers geschoben. Die glänzend schwarzen Lederschuhe verursachten keinen Laut auf dem blank gewienerten Linoleum des Korridors, doch dieser bemerkenswerte Umstand war mir in diesem Moment nicht bewusst, weil ich wie gebannt war vom Anblick seines Gesichts. Im Licht der Neonröhren an der Decke war es so weiß wie die Wand hinter ihm. Ohne nach rechts oder links zu schauen, schritt er gleichmütig aus, ging an uns vorbei und blieb zwei Türen weiter stehen, genau an der Stelle, auf welche vorhin die Frau gedeutet hatte und wo sich die Labors mit der Blutbank befinden mussten. Und der neue Safe zur Aufbewahrung der gefährdeten Blutkonserven.
    Er öffnete die Tür und ging in den dahinter befindlichen Raum.
    Eine Schwester kam mit einem Tablett voller Medikamente vorbei; die offene Tür konnte ihr unmöglich entgangen sein, doch sie eilte vorbei, als sei alles in bester Ordnung.
    Die beiden Patienten neben mir unterhielten sich weiter, ohne im Geringsten den Anschein zu erwecken, als sei irgendetwas nicht normal.
    »Er kommt vielleicht irgendwie durch die Klimaschächte«, sagte die Frau.
    »Das kann ich mir nicht vorstellen«, widersprach der Mann. »Wenn Sie mich fragen, ist es einer vom Personal. Oder

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