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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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hinschauen und durfte mich nicht ablenken lassen. Die anderen waren wahrscheinlich zu sehr im Stress, um sich vernünftig auf den vermeintlichen Schatten zu konzentrieren.
    »Aber ich sehe dich«, sagte ich zu ihm. Diese Bemerkung klang in meinen eigenen Ohren derart naiv, dass ich unwillkürlich lächeln musste. Es war keineswegs ein berechnendes oder höhnisches Lächeln, sondern eher ein verzerrtes, völlig unkontrolliertes Grinsen. Es entsprang ausschließlich meiner Unsicherheit und meiner Fassungslosigkeit und kam ganz instinktiv und planlos zustande, wie bei jemandem, der den berühmten Gesang im Dunkeln anstimmt.
    Doch auf ihn hatte dieses zittrige, unbeabsichtigte Lächeln eine erschreckende Wirkung. Er richtete sich stocksteif auf, wie unter einem elektrischen Schlag, und seine Pupillen fingen an zu funkeln, wie von einer inneren Lichtquelle erhellt, um sich dann urplötzlich wie bei einer Katze zu Schlitzen zu verengen. Das Schlimmste war jedoch die Art, wie sich plötzlich die Oberlippe von seinen Zähnen zurückzog. Es sah aus wie bei einem wilden Tier, das die Lefzen entblößt, gierig und bereit, die Halsschlagader seines Opfers zu zerfetzen und das sprudelnde Blut zu trinken. Die Eckzähne wirkten mit einem Mal enorm spitz und weit länger als normal, sie ragten wie bei einer Raubkatze über die Lippenlinie hinaus und hoben sich in scharfem Weiß gegen das dunkle Innere seines Mundes ab.
    Ich bin ziemlich sicher, dass ich auf der Stelle vor lauter Schreck in die Hose gemacht hätte wie ein kleines Mädchen, wenn mich nicht in diesem Moment eine der beiden Angestellten angesprochen hätte. »Ist Ihnen nicht gut? Möchten Sie vielleicht einen Schluck Wasser?«
    Martin bewegte sich einen Schritt auf mich zu, und dann, wie von Zauberhand weggewischt, war er im nächsten Moment verschwunden, ein blasser, kaum sichtbarer Schatten, der unbemerkt an mir vorbeigeglitten und sich dann entmaterialisiert hatte, als sei er nie da gewesen.
    »Sollen wir einen Arzt holen?«
    Ich merkte, wie ich langsam zu mir kam. »Danke«, krächzte ich. »Es geht schon wieder. Ich wollte eigentlich bloß zur MRT .«
    »Die ist direkt nebenan«, sagte das Rastamädchen.
    Mit wachsweichen Knien taumelte ich hinaus auf den Gang und rannte in die Assistentin hinein. »Ich habe Sie schon gesucht, Frau von Stratmann. Kommen Sie bitte mit.«
    Ich wankte folgsam hinter ihr her, in eine Umkleidekabine, immer noch befallen von einer Art geistiger Starre, die es mir unmöglich machte, über das gerade Erlebte nachzudenken.
    »Hier können Sie ablegen. Nehmen Sie bitte alle losen Metallteile vom Körper«, leierte die Assistentin. »Brillen, Ringe, Armbänder, Kettchen. Danach gehen Sie durch diese Tür in den Untersuchungsraum. Vergessen Sie nicht, den Aufbiss mitzubringen.« Sie war ungefähr in meinem Alter, hatte krauses Haar in einem unnatürlich aussehenden Rotton und ein paar entzündete Pickel am Kinn, an denen sie herumfingerte, während sie mit mir redete. Eigenartigerweise war ich in der Lage, solche Nebensächlichkeiten mit ganz normaler Aufmerksamkeit zu registrieren, doch mein Verstand weigerte sich, die Geschehnisse von vorhin nachzuvollziehen.
    Die junge Frau schob sich durch die enge Kabine, quetschte sich an mir vorbei und öffnete die Tür zum Untersuchungsraum. »Ich warte dann hier auf Sie.«
    Ich drückte die Tür hinter ihr ins Schloss und ließ mich auf den Hocker in der Ecke der Kabine sacken. Luft entwich mir wie einem angestochenen Ballon. Im selben Moment merkte ich, wie mein Herz anfing zu rasen.
    Schock, dachte ich benommen, das muss der Schock sein!
    Gleichzeitig kehrte mein Verstand zurück. In meinem Gehirn jagten sich wilde Gedanken, die nach einer plausiblen Erklärung suchten. Anders als meine Mutter bin ich ein rational denkender Mensch mit einem ausgeprägten Hang zum Agnostizismus. Mystische Ansätze zur Erklärung aus dem Rahmen fallender Phänomene waren mir von klein auf fremd gewesen. Ich erinnere mich, dass ich im Alter von ungefähr vier Jahren einmal die Vorstellung eines Zauberkünstlers gesehen habe, die damals bei uns im Kindergarten stattfand. Alle Kinder aus meiner Gruppe glaubten ernsthaft, dass es pure Magie war, die den Zauberer dazu befähigte, das Kaninchen aus dem Zylinder zu ziehen, doch ich argwöhnte sofort, dass er uns irgendwie reingelegt hatte. Ähnlich verhielt es sich mit anderen sogenannten Wundern. Ich glaubte an keines davon.
    Womit ich auch sofort eine vernünftige

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