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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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und seine Augen hinter der dünnrandigen Brille waren rot vor Müdigkeit. Unter dem offenen Kittel trug er Jeans und Sweatshirt. Er gab mir die Hand und stellte sich vor, dann gingen wir in den angrenzenden Raum, wo die eigentliche Untersuchung stattfinden sollte, ein mit millionenteurer Technik vollgestopftes Gelass. Ich kam mir vor wie in der Kommandozentrale eines Kraftwerks.
    Er zeigte mir die Liege mit der dahinter montierten Röhre.
    »Es wird Ihnen vielleicht da drin ein bisschen eng erscheinen«, sagte er. »Wenn Sie in Panik geraten, drücken Sie den Ballon, den wir Ihnen vorher geben.«
    Die Assistentin reichte mir Ohrenstöpsel. »Gegen den Lärm.«
    »Welchen Lärm?«
    »Vom Tomographen. Es hört sich ein bisschen an wie auf einer Baustelle. Lauter metallische Schläge. Boing, boing, boing .«
    »Es knattert auch«, sagte der Arzt.
    »Lange?«
    »Es dauert schon so etwa eine Viertelstunde, aber je weniger Sie sich bewegen, umso besser wird die Qualität der Aufnahmen. Wir brauchen mehrere, eine mit Aufbiss, eine ohne. Halten Sie den Kopf ruhig, und bewegen Sie auch möglichst nicht Ihre Zunge.«
    »Muss ich keine Bleischürze anziehen?«
    »Es gibt dabei keine Strahlenbelastung«, sagte der Arzt.
    Ich hievte mich auf die Liege, schob mir die Stöpsel in die Ohren und den Aufbiss zwischen die Zähne, dann legte ich mich zurück und nahm den Gummiballon für etwaige Panikattacken in die Hand. Mein Kopf wurde in eine Art Schraubklemme gezwängt, und ich kam mir vor wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans. Hinter mir tat sich die überdimensionale Bratröhre auf, und ich wurde langsam mit dem Kopf voran hineinschoben, bis mich absolute Finsternis umfing.
    Stellen Sie sich vor, Sie seien ein ausgebrannter Uranstab und zur Endlagerung in einem licht-, luft- und schalldichten Stahlmantel eingeschweißt, dann haben Sie einen Eindruck, wie ich mich fühlte. Oder, noch besser, versuchen Sie sich in die Situation eines frisch Verstorbenen zu versetzen, der gerade beerdigt worden ist und soeben festgestellt hat, dass er in Wirklichkeit nur scheintot ist.
    Ohne den blöden Aufbiss hätte ich sicher mit den Zähnen geknirscht. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal in meinem Leben in eine Situation kommen könnte, in der ich unter Klaustrophobie litt. Es war entsetzlich! Ich war auf einmal absolut sicher, bei lebendigem Leib hier drin verfaulen zu müssen. Gefangen und eingeschlossen auf ewig. Bestimmt gab es gerade in diesem Moment irgendwo im Haus Feueralarm! Womöglich war ich schon längst mutterseelenallein hier im Untergeschoss!
    Sämtliche Details entstanden in gnadenloser Klarheit vor meinem inneren Auge: Qualm stieg aus den Entlüftungsschächten, Feuer züngelte aus allen Ritzen herein, und der Radiologe und die Assistentin schafften es gerade noch, sich hustend ins Freie zu schleppen. Draußen schauten sie dann zurück in das brüllende Flammeninferno, und plötzlich fiel ihnen ein, dass noch jemand in der Röhre steckte. Doch da war es natürlich schon zu spät, denn die Röhre war längst zur Backröhre geworden. Arme Gans!
    Dumme Gans, schalt ich mich. Doch es half nichts. Die Panik nahm überhand.
    Du drückst nicht den Ballon, rief ich mich zur Räson.
    Denk an was Schönes, befahl ich mir. Doch alles, was mir spontan in den Sinn kam, war der Ausdruck auf Martins Gesicht gewesen. Das schwache Glitzern in den grauen Augen, als er mit diesem entsetzlichen, lautlosen Fauchen die Oberlippe von seinen spitzen Zähnen zurückgezogen hatte, und wie er diesen einen Schritt auf mich zugetan hatte, gerade so, als setzte er zum Sprung an. Um was zu tun? Mich niederzuwerfen und auszusaugen? Ein lustvoller Schauer durchrann mich bei dieser Vorstellung. Dunkle, aber eindeutig sexuelle Assoziationen stellten sich ein, von Liebe und Tod, von Unterwerfung und Erfüllung. Wenn ich schon unter Flashbacks litt, konnte ich wenigstens das Beste daraus machen. Ich gab mich eine Weile angenehmen Tagträumen hin und ließ mich in verschiedenen Stellungen von Martin, dem Vampir, aussaugen.
    Wenigstens musste ich mir jetzt keine Sorgen über etwaige hirnorganische Defekte machen. Flashbacks kamen halt vor, hatte ich mir sagen lassen, damit musste man leben, bis sie nach einer Weile von allein wieder aufhörten. Meist passierte es sowieso nur einmal.
    Dann wurde das Knattern lauter, und unvermittelt kam die Panik wieder zurück. Diesmal wurde mir ernstlich schlecht. Ich drückte den Ballon und merkte, wie ich aus der

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