Beiss mich - Roman
rot das Blut hervor. »Der Kreis hat sich geschlossen«, sagte sie mit traurigem Lächeln.
»Welcher Kreis?«, fragte ich, doch sie begann bereits, sich in Nebel aufzulösen.
Die folgenden Tage verbrachte ich im fiebrigen Wechsel zwischen Schlafen und Dösen. Richtig wach wurde ich nicht. Ab und zu wurde ich gewahr, dass jemand mir Wasser und Medikamente einflößte. Einmal hörte ich eine Männerstimme, und eine Nadel stach schmerzhaft in meinen Arm. Eine Infusion wurde mir verabreicht.
Ein anderes Mal zog Solveig mir die Decke weg und wusch mich sanft. Ich erinnerte mich, dass ich sie vor jemandem beschützen musste, doch mir fiel nicht ein, vor wem. Trotzdem warnte ich sie. »Du musst dich vor ihm in Acht nehmen«, murmelte ich ihr zu, doch sie hörte nicht hin. Der Arzt kam und ging, und die Zeiten zwischen Wachen und Träumen wurden allmählich fassbarer, meine Umgebung gewann an Konturen, und ich kehrte langsam, aber unwiderruflich in die Realität zurück.
Solveig sagte mir, ich sei fünf Tage schwer krank gewesen. Zwei Tage lang hätte ich über vierzig Grad Fieber gehabt.
»Wenn du nicht vorher so gut in Schuss gewesen wärst, hättest du das womöglich nicht überlebt.«
Ich hing immer noch am Tropf, doch in der Flasche befand sich nur noch Nährlösung. Als der Arzt an diesem Abend kam, wurde die Kanüle entfernt.
»Fangen Sie mit leichter Kost wieder an«, sagte er, bevor er ging.
Beim Gedanken an Essen drehte sich mir der Magen um. Solveig informierte mich, dass ich seit dem Ausbruch meiner Krankheit außer Tee, Brühe und Wasser nichts zu mir genommen hätte. Sie schleppte mich zur Toilette, wie sie es auch schon in den letzten Tagen getan hatte, doch diesmal klappte es bereits deutlich besser, weil der Infusionsständer nicht mehr mitgerollt werden musste. Meine Füße gehorchten mir von Mal zu Mal besser, und schließlich, am Ende der Woche, konnte ich den Gang zur Toilette wieder allein wagen. Am siebten Tag schaffte ich es sogar, mich eigenhändig zu waschen und zu kämmen. Dem hohläugigen, kreidebleichen Gespenst im Badezimmerspiegel gönnte ich allerdings immer noch keinen zweiten Blick.
Am nächsten Morgen kamen meine Eltern zu Besuch. Meine Mutter brachte mir widerlich riechenden Kräutertee, eine spezielle Gesundheitsmixtur ihrer Erdweiber-Gruppe, und mein Vater erzählte, dass er wahrscheinlich nächsten Monat mit dem Taxifahren aufhören wolle. Während meiner Krankheit waren die beiden schon einmal da gewesen, doch ich konnte mich nicht daran erinnern – so wie ich mich überhaupt an Vieles nicht mehr richtig erinnern konnte. Die Silvesterfeier beispielsweise war in weiten Teilen aus meinem Gedächtnis getilgt, ein echter Blackout, wie ich noch nie einen erlebt hatte. Bei Blackout musste ich automatisch an einen anderen Begriff aus der Psychokiste denken: Flashback.
Ich grübelte einen halben Tag lang nur darüber nach, wieso zum Teufel ich ausgerechnet auf Flashback kam und woran es lag, dass mich das Wort so verstörte. Nach einer Weile kamen dann manche Bilder ganz langsam zurück und fügten sich wie bei einem Puzzle zusammen, zu einem derart verrückten Puzzle allerdings, dass ich es rasch aufgab, unterscheiden zu wollen, welche Stücke davon Realität und welche Phantasie waren. Bestimmte Teile, die ohnehin nur meinem Unterbewusstsein entsprungen sein konnten – etwa die heiße Nummer mit Solveigs neuem Freund oder die wüste These, er sei ein Vampir (Gott, was für eine blühende Phantasie!) –, sortierte ich sofort als Fieberträume aus, wenn auch als erstaunlich lebensechte. So lebensecht, dass mir noch im Nachhinein heiß davon wurde.
Über andere Stücke des Puzzles musste ich länger nachdenken, zum Beispiel über den Vorfall in der Klinik und über das, was ich dort gesehen zu haben glaubte. Mittlerweile zweifelte ich nicht mehr daran, dass alles nur Einbildung gewesen war. Es war von himmelschreiender Offenkundigkeit, dass ich (oder besser: mein Unterbewusstsein) diesen Mann geradezu notorisch in möglichst viele meiner Tag- und Nachtträume einarbeiten wollte. Mein beschämender sexueller Traum in der Neujahrsnacht hatte den letzten Beweis erbracht, wie labil ich in diesem Punkt war. So ärgerlich das auch war, so wenig ließ es sich leugnen. Der Typ hatte es mir wohl stärker angetan, als ich mir zunächst hatte eingestehen wollen. Ich war also doch ein Opfer des Post-Noëlle-Syndroms. Anscheinend war ich so ausgetrocknet gewesen, dass schon das erste
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