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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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Auftauchen eines scharfen Typen mich hysterisch werden ließ. Es war einfach eine Frage von Ursache und Wirkung. Männerlosigkeit führte zu Frust, Frust zu Überkompensation, Überkompensation zu bescheuerten Einbildungen.
    Obwohl ich stolz darauf war, das so prima analysiert zu haben, blieb ein Rest Unbehagen zurück, eine Spur von Unsicherheit. Ich schob es auf die Nachwirkungen der Krankheit und beschloss, schnellstens gesund zu werden. Obwohl ich mich von Tag zu Tag besser fühlte, hatte die Grippe mich ziemlich mitgenommen. Als am achten Januar zum ersten Mal seit Weihnachten die Sonne wieder hinter den Wolken hervorbrach, stach mir das Licht derart schmerzhaft in den Augen, dass ich das Rollo halb herunterlassen musste, um überhaupt etwas sehen zu können. Noch Stunden danach tränten meine Augen so stark, dass ich eine Packung Papiertaschentücher zum Trockentupfen verbrauchte.
    Mein Appetit ließ stark zu wünschen übrig. Genau genommen war er überhaupt nicht vorhanden. Solveig servierte mir hinreißend komponierte, frisch zubereitete und liebevoll dekorierte Snacks, doch bereits der Anblick von Essen brachte mich zum Würgen. Außer etwas Brühe konnte ich nichts zu mir nehmen.
    Als Solveig tags darauf wieder arbeiten ging und wie üblich erst am frühen Abend zurückkehrte, gab ich vor, mittags gegessen zu haben. Ich ließ einfach einen Teil des Essens in der Toilette verschwinden, um sie in dem Glauben zu wiegen, dass ich regelmäßige Mahlzeiten zu mir nahm. Gleichzeitig fing ich an, mir Gedanken über mein Nahrungsbedürfnis zu machen, oder vielmehr über das völlige Fehlen desselben. Eins war daran besonders merkwürdig: Obwohl ich noch weit davon entfernt war, wieder restlos fit zu sein, fühlte ich mich im Grunde ganz passabel – noch etwas mitgenommen, aber doch so weit wiederhergestellt, dass ich die elementaren Dinge des Lebens wie Duschen und Fernsehen ohne größere Kraftanstrengung hinkriegte. Wieso konnte ich nichts essen?
    Ich versuchte es mit einem Apfel. Er schmeckte wie Holz, mit einem widerlich galligen Beigeschmack. Ich spie das Stück, das ich im Mund hatte, in hohem Bogen von mir. Dann zwang ich mich, ein Stück Toast mit Butter zu bestreichen und hineinzubeißen. Ekel packte mich, und ich bekam einen heftigen Hustenanfall. Dasselbe passierte, als ich mit Todesverachtung einen Schluck Kakao probierte. Normalerweise war ich verrückt nach Kakao. Schön heiß musste er sein, mit viel Zucker drin oder ein paar dicken Marshmallows. Doch diesmal schmeckte er nicht. Im Gegenteil, es war fast so, als schlürfte ich Exkremente. Es war ganz ausgeschlossen, dass ich dieses Zeug schluckte, und doch überwand ich mich und versuchte es. Das Ergebnis kam spontan und heftig. Ich konnte kaum aufhören, zu würgen und zu husten. Ein vages Déjà-vu-Gefühl ergriff mich, doch bevor ich es näher ergründen konnte, riss mich das Klingeln des Telefons aus meinen Grübeleien.
    Es war mein Bruder. »Ich habe gehört, du warst seit Neujahr krank.«
    Ich hustete noch ein paar Takte, dann schaffte ich es endlich, damit aufzuhören. »Die Grippe«, krächzte ich. »Inzwischen geht’s wieder.«
    »Kein Wunder, dass du Silvester so komisch drauf warst.«
    »Wie war ich denn drauf?«
    »Total daneben.«
    Ich erinnerte mich an Scampi im Ausschnitt und andere Ausfälle. Total daneben war wohl noch vornehm ausgedrückt.
    Beschämt lenkte ich vom Thema ab. »Was macht die Arbeit?«
    »Danke der Nachfrage. Ich kriege im Mai Prokura.«
    »Gratuliere.«
    »Gratulier mir nicht«, sagte er mit schmerzerfüllter Stimme. »Bea hat zum ultimativen Schlag ausgeholt. Sie erzählt überall herum, dass sie mit mir nie kommen konnte.«
    »Nein«, sagte ich ehrlich erschüttert.
    »Irgendwie hat es sich sogar schon bis zur Bank herumgesprochen. Vorgestern meinte die Abteilungssekretärin, ich solle mir das bloß nicht zu Herzen nehmen, es gebe noch genug Frauen auf der Welt mit Feuer und Leidenschaft.«
    »War das eine Art Antrag von ihr?«
    »Schon möglich.«
    »Das ist doch toll!«
    »Ich weiß nicht. Sie wiegt mindestens dreißig Kilo mehr als ich und hat einen Wahnsinnsüberbiss. Kommst du zu der Feier?«
    »Welche Feier?«
    »Na, zu Omas und Opas Geburtstag.«
    »Ach ja, der Neunzigste. Mal sehen. Kommt drauf an, ob ich da schon wieder fit genug bin.«
    Wir unterhielten uns über diese und jene Belanglosigkeit, und ich wollte mich schon verabschieden, als ich aus einem Impuls heraus unvermittelt fragte: »Sag mal, hast

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