Beiss mich - Roman
Auffassungsgabe.«
Bevor sein Mund meine Lippen berührte, fiel mir die Frage wieder ein. »Moment. Können Vampire überhaupt Sex haben? Ich dachte immer, sie sind impotent.«
Er hielt inne, und in der Dunkelheit des Zimmers konnte ich am Aufblitzen seiner beneidenswert weißen Zähne sehen, wie er lächelte. »Wer hat dir das erzählt?«
Hatte ich es in einem Roman von Anne Rice gelesen? Oder woanders? Ich hatte es vergessen. Es war mir ohnehin egal. Dieser Traum war wunderbar, und ich wollte ihn einfach nur genießen. Sollte Martin doch mit mir machen, was er wollte.
Hauptsache, er biss meiner besten Freundin nicht in den Hals.
Seine Lippen fuhren sanft an meinem Mundwinkel vorbei. Das Gefühl war unbeschreiblich. Ich seufzte verhalten. Seine Hände waren auf meinen Brüsten, warm und besitzergreifend. Dann fasste er mich da unten an, und mein Traum geriet auf eine höhere (oder tiefere?) Ebene. Es war, als schwebte ich im luftleeren Raum, befreit von hinderlichen Zwängen, losgelöst von allem Irdischen. Logik oder Vorsicht – dergleichen gab es auf einmal nicht mehr. Für mich existierte nur noch die Raserei, die das Gefühl seiner Hände an meinem Körper hervorrief. Es war die pure, absolute, unübertroffene Geilheit, anders kann ich es nicht beschreiben. Solveig hatte ja so recht. Ein Vibrator war auf Dauer kein Ersatz. Ich bäumte mich seinem entschlossenen Griff entgegen und wollte mehr. Ich wollte alles, was er zu geben hatte, und ich wollte es auf einmal und möglichst sofort.
Dieser Traum war wirklich das Beste, was mir in letzter Zeit passiert war! Ich erinnerte mich sogar an Solveigs Ratschläge. Jetzt war die Gelegenheit da, ihre Tipps praktisch zu erproben.
»Küss mich!«, stieß ich hervor.
Er tat es, und ich hatte das Gefühl, in einen bodenlosen Schacht zu fallen und anschließend in den Himmel aufzusteigen. Seine Zunge war tief in meinem Mund, und ich bemühte mich redlich, in diesem Duell nicht den Kürzeren zu ziehen. Anscheinend konnte ich mithalten, denn als sich unsere Lippen mit einem schmatzenden Geräusch voneinander lösten, ging sein Atem keuchend.
»Jetzt zieh dich aus«, verlangte ich kühn.
Entzückt sah ich, dass die von Solveig empfohlene Taktik funktionierte. Ich hatte meinen Befehl noch gar nicht zu Ende formuliert, als er sich auch schon die restliche Kleidung vom Körper riss.
»Hast du keine Angst?«, fragte er atemlos. »Wenn du aufhören willst, dann nur jetzt.«
Er schaute mich unter gesenkten Lidern an, und auf einmal ähnelte er wieder der sprungbereiten Raubkatze, an die er mich schon einmal erinnert hatte.
»Nein, wieso?«, gab ich zurück. »Das ist bloß ein Traum, und ich denke nicht daran, ausgerechnet dann aufzuhören, wenn es am schönsten ist.«
»Das ist dein Glück, denn ich hätte sowieso nicht aufgehört.«
Er legte sich zu mir ins Bett, und von diesem Moment an wurde mein Traum zu einem verschwommenen Wirbel aus Hitze, Lust, Wildheit und Hingabe. Ich konnte mich nicht erinnern, weitere Befehle geäußert zu haben, denn ich bekam keine Gelegenheit dazu – bis auf den einen, alles entscheidenden Augenblick, der sich in kristallklarer Klarheit für immer in die Erinnerung dieses Traumerlebnisses einbrennen sollte.
Er war auf mir und in mir und auch sonst überall gegenwärtig, aber ich spürte mit instinktiver Gewissheit, dass da noch mehr war, eine elementare Notwendigkeit, etwas, das ich mir um jeden Preis verschaffen wollte und das nur um Haaresbreite von mir entfernt war, dabei aber von so immenser Wichtigkeit, dass ich alles tun musste, um es zu bekommen.
»Beiß mich.«
Er drang tiefer in mich ein und bewegte sich schneller. Er keuchte unaufhörlich an meiner Schulter, meinem Hals, meinem Ohr, meinem Mund, meinen Brüsten, doch da war auch ein winziges Zögern, ein kaum merkliches Innehalten in der Raserei dieser Vereinigung, und da wusste ich, dass ich es möglich machen konnte, wenn ich es nur wollte.
Ich presste meine Lippen dicht an sein Ohr. »Beiß mich«, wiederholte ich. Es war mein Traum, und ich gab die Befehle.
Sein Mund fand die Stelle an meiner Halsgrube, wo das Blut so dicht unter der Haut pulsierte, und dann kam für einen kurzen, aber schrecklichen Moment der Schmerz. Ich wusste, jetzt würde ich sterben, doch es war mir egal, denn der Tod erschien mir ein geringer Preis zu sein für diese unermessliche Lust. Alles ging unter in diesem wahnsinnigen, alles verschlingenden Taumel. Ich fühlte, wie mein Lebensblut aus
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