Beiss mich - Roman
Skihütte zum Beispiel. Oder einfach nur ausgehen, ihr Leben genießen. So, wie sie es immer machte. Mit guten Bekannten losziehen. Oder mit Männern.
»Was ist eigentlich aus deinem Neuen geworden, diesem Martin?« Meine Stimme zitterte kaum merklich, als ich den Namen aussprach, denn sofort überfluteten mich die Bilder meines unglaublichen Traums.
Solveigs Gesicht verschloss sich. »Ich habe nichts mehr von ihm gehört. Er hat mich nicht mehr angerufen.«
Diese Botschaft erfüllte mich mit großer Erleichterung, aus der ich keinen Hehl machte. »Weg mit Schaden«, sagte ich aufmunternd.
»Ja«, meinte Solveig merkwürdig unbeteiligt. »Weg mit Schaden.«
10. Kapitel
A m darauffolgenden Montag raffte ich mich endlich auf, meine Kieferregulierung in Angriff zu nehmen. Nicht, dass mein Kieferknacken schlimmer geworden wäre. Im Gegenteil, schließlich aß ich nichts mehr, womit sich die Notwendigkeit, ständig den Mund auf- und zuzuklappen, beträchtlich reduziert hatte. Trotzdem wollte ich es nicht auf die lange Bank schieben. Vorsorglich steckte ich die Sonnenbrille ein und nahm auch eine Mütze in der Handtasche mit. Bis zum Hals mit Thermojacke und Schal vermummt, machte ich mich am späten Nachmittag auf den Weg. Es wurde gerade dunkel. Ich hatte um einen späten Termin gebeten, denn tagsüber hatte die Sonne jeden nur zugänglichen Winkel der Stadt bestrahlt. Keine Frage, ich würde dieser Tage noch gegen meine merkwürdige neue Allergie angehen müssen. Einen Termin beim Hautarzt hatte ich mir schon besorgt.
In der wärmeren Witterung war der Schnee, der zwischen den Jahren gefallen und liegen geblieben war, zu vereinzelten schmutzigen Inseln geschmolzen. Auf meinem Weg von der Haltestelle bis zu Rainers Praxis kam ich an Gärten vorbei, in denen Schneemänner den gestiegenen Temperaturen zu trotzen versuchten. Einer von ihnen, angetan mit Schal, Taucherbrille und Karomütze, schien mich breit anzugrinsen, mit seiner klobigen, aus dunklen Steinen zusammengefügten Zahnreihe. Der Anblick brachte mich aus unerklärlichen Gründen zum Schaudern.
In der Praxis war erwartungsgemäß viel Betrieb. Die Schulferien waren vorbei, die meisten Leute waren aus dem Urlaub zurück und mussten wieder arbeiten. Reguläre Zahnarzttermine wurden üblicherweise gern auf die Zeit nach Feierabend gelegt.
Doch die heute für den Empfang zuständige Katja wusste, was sich für die Ex-Frau des Chefs ziemte. Die anderen Patienten konnten warten, ich wurde dazwischengeschoben.
»In die Eins bitte, Frau Doktor von Stratmann«, säuselte Katja und schwebte mit den Unterlagen voraus in das verchromte und verspiegelte Hightech-Ambiente des Behandlungsraums. Ich hatte die MRT -Aufnahmen mitgebracht, die sie nun zusammen mit den bereits hier gefertigten Röntgenbildern vor einer Leuchtwand befestigte.
Katja deutete auf die Liege. »Sie können schon Platz nehmen, Frau Doktor.«
Darauf verzichtete ich diesmal dankend. Ich wollte meinem Ex Auge in Auge gegenübertreten, sozusagen gleichberechtigt. Schließlich war ich nicht nur wegen meiner Zähne hier.
Rainer, der kurz darauf zu mir stieß und mich mit dem üblichen Schmatzer auf die Wange begrüßte, wirkte prächtig erholt. Er war braun gebrannt (Gletscherbräune) und lächelte bis an die Ohren.
»Schönen Urlaub gehabt?«, fragte ich höflich.
»Danke der Nachfrage, es war toll.« Er musterte mich beifällig. »Lu, du bist wirklich eine Augenweide. Du bist richtig niedlich. Wieso habe ich dich verlassen?«
»Du hast mich nicht verlassen. Ich habe dich verlassen.«
»Wirklich?«, fragte er mit schmerzlichem Augenaufschlag. »Weshalb eigentlich?«
»Weil du in der Gegend rumgevögelt hast wie ein Karnickel.«
»Oh. Tja …« Da ihm anscheinend die Komplimente ausgegangen waren, kam er zur Sache. Er erläuterte mir anhand der Aufnahmen anschaulich den maroden Zustand meines Kiefergelenks.
»Du leidest an etwas, das der Fachmann als totale anteriore Diskusverlagerung bezeichnet«, meinte er.
»Und wie würde es der Laie bezeichnen?«
»Die Pfanne hüpft aus dem Gelenk.«
Das klang nicht gut.
»Daher auch das Knacken, oder?«
»Daher auch das Knacken«, bestätigte er.
Dann zeigte er mir an Schaubildern, wie man meinen Kiefer neu einrichten würde, um das Problem abzustellen. »Ich habe das Konzept schon mit meinem Bekannten durchgesprochen.«
Besagter Bekannter war der Kieferorthopäde, der die Behandlung bei mir durchführen sollte. Seine Praxis befand sich in der
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