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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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schleimigem Tonfall an mich, als ich an ihm vorbeikam.
    »Fick dich selber, du Arsch«, erwiderte ich schlecht gelaunt. Ich öffnete die Haustür vorsichtig einen Spalt und spähte besorgt hinaus. Der Himmel war verhangen, Gott sei Dank. Vorsorglich hatte ich eine Baseballkappe aufgesetzt, den Schal bis über die Nase hochgezogen und auch die Sonnenbrille nicht vergessen. Wenn ich mich zusätzlich im Schatten der Häuser hielt und darauf achtete, nicht mehr als nötig auf den Straßen herumzulaufen, müsste es klappen. Ich ließ Mehmet und seinen Freund stehen und machte mich auf den Weg.
    Vor dem Haus traf ich Frau Herberich, die gerade vom Einkaufen zurückkam. Heute war sie mit Zahnprothese und ohne Rollator unterwegs. Ihr Körpergeruch traf mich mit der Wucht einer Dampfwalze. Hatte sie je so penetrant gestunken? Nein, unmöglich. In diesem Jahr konnte sie noch nicht gebadet haben. Unauffällig wandte ich das Gesicht zur Seite.
    Ich hatte Glück. Sie sah mich gar nicht. Auf diese Weise blieben mir längere Sachstandsmeldungen zum Zustand ihrer Füße erspart.
    Die Praxis bestand aus einer ganzen Etage im neuesten Wolkenkratzer inmitten des Bankenviertels. Vom Wartezimmer aus hatte man eine phänomenale Aussicht über die Stadt, einen Teil der Skyline, Brücken, Autobahnen bis hin zum Taunus.
    Die kieferorthopädische Praxis war im Grunde eine kleine ambulante Klinik. Soweit ich es auf den ersten Blick beurteilen konnte, gab es mindestens fünf Behandlungszimmer, die mit offenen Durchgängen miteinander verbunden waren. In jedem einzelnen dieser Räume gab es wiederum mehrere Behandlungsliegen. Ich selbst wurde in einen Raum geführt, in dem vier Liegen nebeneinander platziert waren. Weiß gewandetes Personal eilte von einem Raum zum anderen, Gerätschaften und Akten transportierend oder auf einem der Schemel zur Seite der einen oder anderen Liege Platz nehmend. Hier wurde geschraubt und gedreht, dort wurden Drähte eingefügt oder irgendwelche anderen Apparaturen eingesetzt. In einer abgeteilten Ecke wurde eine Patientin fotografiert. Sie hielt sich einen Handspiegel in den weit aufgerissenen Mund, während einer der weiß gekleideten Engel vor ihr auf einem Hocker saß und sie ablichtete.
    »Hier ist immer ziemlich viel Trubel«, erklärte die Sprechstundenhilfe. »Aber dafür tut bei uns auch nichts weh.« Sie kicherte und wies mir eine der Liegen zu. Nach kurzer Zeit erschien ein junger Mann und stellte sich als Doktor Schreiner vor. Ich erfuhr, dass er einer von vielen hier beschäftigten Assistenzärzten war.
    Der Inhaber der Praxis fungierte vermutlich als eine Art graue Eminenz im Hintergrund und tauchte nur zum Händeschütteln und Unterschreiben der Rechnungen auf. Die übrigen Beschäftigten verdienten ihre Sporen, indem sie den Patienten des berühmten Gurus auf dessen Geheiß hin Zahnspangen anpassten und Drähte verspannten und auch ansonsten sehr gut bei allem aufpassten, um das Gelernte später in ihrer eigenen Praxis gewinnbringend umsetzen zu können.
    Doktor Schreiner, ein schüchterner Endzwanziger mit schütterem Blondhaar und Zahnspange im Mund, erläuterte mir nochmals die Aufnahmen, die man hier bereits in Kopie vorliegen hatte. Er konnte mir nicht viel Neues erzählen. Überraschend war für mich lediglich, dass die Behandlung mindestens ein Jahr dauern sollte. Vielleicht sogar zwei. Oder, im schlimmsten Falle, womöglich drei. Dergleichen könne man nie genau sagen.
    »Verständlicherweise können wir uns da nicht festlegen«, meinte Doktor Schreiner.
    Ich deutete auf seinen Mund. »Wie lange haben Sie das Ding schon drin?«
    Er wand sich. »Zwei Jahre.«
    »Das ist ziemlich lange, oder?«
    »Ich war ein schwieriger Fall.«
    Ich blickte mich um. Von den Weißkitteln, die hier arbeiteten, hatten fast alle Zahnspangen im Mund. »Ist das eine Art Dienstverpflichtung, wenn man hier arbeitet?«
    Er wirkte pikiert. »Keineswegs. Es ist einfach eine Tatsache, dass zirka neunzig Prozent aller Menschen eine kieferorthopädische Behandlung benötigen.« Er wies in die Runde. »Was uns betrifft – wir sind halt näher dran.«
    Wie praktisch.
    Er erklärte mir die weiteren Einzelheiten. Mein Unterkiefer würde ein wenig nach vorn verlegt werden, eine Maßnahme, um die Kompression im Kiefergelenk aufzuheben und zugleich das Knacken abzustellen.
    »Das ist eine erprobte Behandlung. Wir nehmen eine Bisserhöhung vor und nivellieren zeitgleich Ihre Zähne. Mit Brackets
und Bögen werden sie gelockert

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