Beiss mich - Roman
Frankfurter Innenstadt, da hatte ich es nicht weit, und er würde es eins a machen, sogar auf Krankenschein.
»Ich gebe dir von den Aufnahmen Kopien mit. Er macht dann natürlich noch mal eine komplette Anamnese und Abdrücke für die Vermessungen, doch das geht schnell. Wenn alles gut läuft, hast du Ende dieser Woche schon die Brackets drin.«
Er musterte mich mit zusammengezogenen Brauen. »Du siehst irgendwie anders aus.«
»Inwiefern?«
»Ich weiß nicht. Du bist so schön wie immer …«
»Das hast du schon gesagt.«
»Aber du bist auch … blass.«
»Ich hatte eine schwere Grippe. Heute war ich zum ersten Mal seit über zwei Wochen draußen.«
»Ah ja.«
Mir fiel wieder ein, dass mein Besuch heute noch weitere Früchte tragen musste. Nächsten Monat waren Hausrat- und Haftpflichtversicherung fällig, und ich hatte Solveig seit mindestens drei Monaten keine Miete mehr gezahlt. Von meinem bis zum Anschlag überzogenen Konto ganz zu schweigen.
Wenn ich schon hier war, konnte ich auch das Nützliche mit dem Notwendigen verbinden.
Als ich merkte, dass er drauf und dran war, aus dem Zimmer und zum nächsten Patienten zu eilen, trat ich ihm entschlossen in den Weg. »Meine Grippe ist Gott sei Dank weg. Aber du kannst entscheidend zur weiteren Verbesserung meines Gesundheitszustandes beitragen.«
»Ich sag’s ja«, meinte er geschmeichelt. »Zähne gut, alles gut.«
Ich baute mich dicht vor ihm auf. Mit meinen Absatzstiefeletten war ich bestimmt drei oder vier Zentimeter größer als er. »Unsere Unterhaltsvereinbarung läuft dieses Jahr aus, das ist absolut okay für mich, denn so war es ausgemacht. Nicht okay ist, dass du im ganzen letzten Jahr gerade mal zwei Raten bezahlt hast. Im Jahr davor drei. Das Jahr davor – ich hab’s vergessen, aber viel mehr war es sicher auch nicht. Du hast richtig fette Schulden bei mir, Rainer. Ich würde nicht damit ankommen, wenn ich es nicht im Moment dringend bräuchte, ehrlich. Könntest du vielleicht in Betracht ziehen, die Kohle noch rauszurücken, die mir zusteht?«
Er war ehrlich betroffen. »Das kann nicht sein! O Gott, Lu, das tut mir so leid! Die ganze Zeit wollte ich das erledigen! Ich kann es doch unmöglich schon wieder vergessen haben!« Er zückte seine Brieftasche und klappte sie auf. »Oh, so ein Mist. Ich habe kein Bargeld dabei. Was tun wir jetzt?« Er machte die Brieftasche wieder zu und schob sie zurück in die Gesäßtasche seiner strahlend weißen Designerhose. »Warte. Ich weiß, was ich mache. Ich gehe gleich morgen früh zur Bank und richte endlich einen Dauerauftrag ein, damit das nicht wieder vorkommt.«
Ich machte mir nicht die Mühe, meinen Sarkasmus zu verbergen. »Das würdest du für mich tun?«
»Lu, also wirklich.«
Seine Wangen hatten sich gerötet, und an seiner Stirn klopfte eine Ader. Doch nicht diese Stelle war es, die wie magisch meine Blicke anzog, sondern die winzige Schlagader an seinem Hals, dieses zarte, kaum sichtbare und doch so überaus lebhafte Pochen, das sich verzweigte bis in die vielen Äderchen, das filigrane Geäst seiner Kapillaren …
Mein Mund fühlte sich plötzlich strohtrocken an, und ich merkte, dass ich heftigen Durst hatte. »Hast du was zu trinken da?«
»Natürlich!« Er lächelte und eilte zu den Wandschränken, ließ eine der Türen geräuschlos auf Schienen zur Seite gleiten und förderte eine komplett bestückte Hausbar zutage.
»Ich würde gern mit dir trinken«, meinte er. »Aber die Patienten riechen leider alles. Bei dir spielt es zum Glück keine Rolle. Silvia ist an so was gewöhnt.«
»Wer ist Silvia?«
Er machte eine wedelnde Handbewegung in Richtung Empfang. »Die macht dir gleich den Zahnstein weg. Was kann ich dir anbieten?«
Plötzlich war ich neugierig, wie ich auf Alkohol reagieren würde. »Was hast du denn so da?«
»Whiskey, Cognac, Martini, Wodka.«
»Ein Wodka wäre nicht schlecht.«
Er brachte mir einen. Ich probierte vorsichtig davon und spuckte das Zeug sofort zurück ins Glas, dann holte ich keuchend Luft und hustete ein paarmal. Wie es aussah, war ich ab sofort Antialkoholikerin.
»Nicht gut?«, fragte Rainer erstaunt.
»Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch nichts gegessen habe.«
»Damit kann ich nicht dienen.«
»Dann gib mir deine Kreditkarte.«
»Lu! Du machst wohl Witze!«
»Ich brauche dringend ein bisschen Geld, Rainer.«
Er wand sich unter meinem Blick und schaute zur Seite. »Lu, das ist mir so peinlich! Aber ich habe doch gerade nichts
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