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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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Tode geweiht, dachte ich, von plötzlichem Selbstmitleid übermannt. Ich sah schon meine eigene Beerdigung vor mir. Durch einen tragischen Schicksalsschlag mitten aus dem blühenden Leben gerissen wurde unsere liebe Tochter, Schwester, Enkelin und Freundin Lucia von Stratmann …
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis Solveig zurückkam. Zwischendurch verlor ich immer wieder das Bewusstsein.
    »Versprich mir, dass in der Todesanzeige keine betenden Hände vorkommen«, flüsterte ich, als sie frisch parfümiert wieder ins Auto stieg. »Ich hasse betende Hände in Todesanzeigen.«
    »Na hör mal, ich kannte den Typ im Keller doch nur vom Sehen. Ich habe da keinen Einfluss drauf. Darum kümmern sich seine Angehörigen.«
    »Du weißt genau, wovon ich rede.«
    »Ach, Luzie, sei nicht so miesepetrig. Das war ein Scherz!«
    »Super. Ich kratze hier gerade ab, und du riechst nach Bulgari und machst Witze.«
    »Kopf hoch. Du packst das schon.«
    Ich ließ mich schlaff zurückfallen. »Mir ist kalt.«
    Sie ließ den Motor an. »Gleich wird’s wärmer.« Während sie den Wagen vom Parkplatz steuerte, fragte sie beiläufig: »Was war das eigentlich für ein Gefühl? Ich meine, den Kerl zu beißen? Hast du total die Beherrschung verloren? Warst du richtig im Blutrausch?«
    »Können wir vielleicht über was anderes reden?«
    »Du hast doch wohl kein schlechtes Gewissen, oder?«
    Ich horchte in mich hinein. Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht.
    »Es war eigentlich eher Notwehr«, meinte ich.
    »Also hat er angefangen, nicht du?«
    Ich nickte. »Er wollte mich vergewaltigen. Da habe ich mich gewehrt und muss irgendwie mit den Zähnen an seinen Hals gekommen sein.«
    Das schien sie zu entzücken. »Toll! Du wirst nie mehr Selbstverteidigungsprobleme haben!« Dann fiel ihr etwas anderes ein. »Wird er jetzt zum Vampir? Ich meine, du hast ihn ja schließlich gebissen und praktisch leergesaugt. Der Kerl war so bleich wie Waschpulver. Müsste er da jetzt nicht zum Wiedergänger werden?«
    »Hm … ich schätze, dafür ist er zu tot.«
    Doch sie war mit ihren morbiden Mutmaßungen noch längst nicht fertig. »Vielleicht muss man ja erst ganz leergesaugt werden, bevor man wiederkommen kann. Das hieße dann, dass Martin dich quasi erst umgebracht hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich meine, du warst zwar echt krank, aber wenn du vorher tot gewesen wärst, hätte mir das doch irgendwie auffallen müssen. Oder dem Arzt.«
    »Ja, mit Sicherheit.«
    »Ich nehme an, dass einfach die richtige Menge der Blutentnahme entscheidend ist. Oder die Häufigkeit des Saugens. Zum Beispiel drei Mal oder so. Wie bei Dracula.«
    Ich gab mich unwissend. »Kann sein.«
    »Du kannst dich wohl nicht mehr erinnern, wie oft Martin an dir gesaugt hat?«
    Wieder hatte ich den Eindruck, mich auf sehr dünnes Eis zu begeben. »Nein, ich war ja völlig weggetreten von der Grippe, ich kann mich nicht mal dran erinnern, dass er überhaupt da war«, behauptete ich. Dann stöhnte ich auf, als hätte ich besonders schlimme Schmerzen.
    Solveig sagte nichts mehr, sondern konzentrierte sich aufs Fahren. Ihre Haltung signalisierte beträchtliche Verbissenheit, doch ich war zu geschwächt, um diesem Eindruck auf den Grund zu gehen. Erleuchtete nächtliche Straßen glitten an mir vorbei, dann die Dunkelheit der Autobahn. Während der Fahrt dämmerte ich mehrmals weg und kam erst wieder richtig zu mir, als Solveig mich weckte.
    »Wir sind da.« Sie hatte vor der Villa gehalten, die ich von dem Foto her kannte. Dort, wo wir parkten, konnte man nur die hohe Mauer sehen. Die Villa stand am Hang, und sie war tatsächlich so einsam gelegen, wie ich es vermutet hatte. Die nächsten Häuser waren mindestens zweihundert Meter weit weg. Es war stockdunkel, denn die Laterne auf dem Bürgersteig vor dem Haus, die einzige weit und breit, funktionierte nicht.
    Solveig machte Anstalten, auszusteigen.
    »Sekunde«, sagte ich. »Was ist, wenn er nicht zu Hause ist?«
    »Dann warten wir, bis er kommt.«
    Ich geriet in Panik. »Aber er könnte verreist sein! Und irgendwann geht die Sonne auf!«
    »Keine Sorge. Bevor es Tag wird, bring ich dich rechtzeitig ins Dunkle. Aber erst mal versuche ich mein Glück.« Sie stieg aus und ging auf das Portal in der Mauer zu. Es gab keinen Bewegungsmelder, und die einzige Lichtquelle der Umgebung war die Standbeleuchtung des Wagens. Ich brauchte kein Licht, denn ich konnte alle Einzelheiten meiner Umgebung auch so erkennen.
    Oben an

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