Beiss mich - Roman
sicher.
Jetzt war ich nackt bis auf meine Strümpfe und das Messer, das immer noch in mir steckte. Kriechend und laut stöhnend vor Schmerzen legte ich den Weg von der Waschmaschine bis zum Trockner zurück, normalerweise nur eine Entfernung von höchstens zwei Metern, doch da ich erst den Leichnam von Schnabelnase umrunden musste, war es mindestens doppelt so weit.
Ich öffnete den Trockner und fand meinen Pulli und eine Jogginghose von Solveig, die ich gestern mitgewaschen hatte. Irgendwie schaffte ich es, beides anzuziehen, ohne mich dabei umzubringen. Aus der Messerwunde war Blut geflossen, das jetzt rings um den Einstich zu trocknen begann. Mir wurde klar, dass es ein Fehler wäre, das Messer herausziehen zu wollen. Das Blut würde nur so sprudeln, ganz zu schweigen davon, dass ich meine inneren Verletzungen nur verschlimmern konnte, wenn ich die Schneide im Stichkanal bewegte. Ein Messer in der Wunde zu belassen, so hatte ich einmal gelesen, war die Ultima Ratio an Erster Hilfe. Ich beschloss, das für bare Münze zu nehmen. Was blieb mir auch übrig? Mir fehlte momentan nicht nur die nötige Kraft, sondern auch der Mut, es einfach herauszuziehen.
Ich sah mich um. Welche Spuren musste ich noch beseitigen, die Rückschlüsse auf meine Beteiligung an dem grässlichen Geschehen zuließen? Auf Anhieb konnte ich nichts sehen, das ich unbedingt hätte wegschaffen müssen – abgesehen natürlich von Schnabelnase. Doch der war eine Nummer zu groß für mich. Wo hätte ich ihn auch verstecken sollen? Nach einiger Überwindung rang ich mich schließlich dazu durch, wenigstens die Zunge zu entsorgen. Mit abgewandtem Gesicht hob ich sie auf und stopfte sie gewaltsam zwischen die Stäbe des Gullys. Mit einem Plumpsen verschwand sie unter der verborgenen Wasseroberfläche.
Was blieb sonst noch zu tun, bevor jemand kam?
Ich sollte mich waschen, mir Gesicht, Haare und Hände reinigen, doch dazu hätte ich mich nicht nur hochziehen müssen, um das kleine Emailwaschbecken in der Ecke zu erreichen, sondern auch davor stehen bleiben müssen, wozu ich derzeit nicht in der Lage war. Ich würde von Glück sagen können, wenn ich es in meinem Zustand überhaupt schaffte, den Keller zu verlassen.
Halb auf der Seite liegend, gestützt auf Hüfte, Ellbogen und Unterarm, schob ich mich Meter um Meter vorwärts. Zuerst an Schnabelnases Leiche vorbei, dann hinaus in den Vorraum und weiter bis zum Aufzug. Dort blieb ich schätzungsweise eine Viertelstunde liegen und starrte zum Rufknopf hoch. Er war nur einen Meter entfernt, aber ebenso gut hätte es ein Kilometer sein können. Mit aller Sachlichkeit, die ich in dieser Lage noch aufbringen konnte, konstatierte ich, dass ich es nicht schaffen würde, auf den Scheißknopf zu drücken. Das Ding befand sich schlicht und ergreifend außerhalb meiner Reichweite. Falls ich noch irgendwelche Reserven gehabt hatte, so hatte ich sie samt und sonders schon im Waschkeller verpulvert. Ich dachte daran, dass ich woanders besser aufgehoben wäre als hier im Vorraum, wo es zwei Lichtschächte gab. Im Fahrradkeller vielleicht? Da war es schön dunkel. Doch diese Idee schlug ich mir sofort aus dem Kopf. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Meine Wahrnehmungen vernebelten sich zusehends, und die Wände um mich herum begannen zu schwanken.
Während ich noch überlegte, wer mich wohl morgen früh als Erster hier finden würde – verblutet oder verbrannt, je nachdem, ob ich bis zum Sonnenaufgang durchhielt oder nicht –, glitt die Aufzugtür auf, und Solveig stand vor mir, einen Korb schmutziger Wäsche unterm Arm.
Sie schrie vor Entsetzen laut auf, als sie mich dort liegen sah, Gesicht und Haar blutig wie nach einem Kettensägenmassaker.
Mit letzter Kraft lüpfte ich den Pulli und zeigte ihr das Messer. Dann verlor ich das Bewusstsein.
*
Ich kam wieder zu mir, als sie mir eine Decke überwarf und mich über die Außentreppe des Kellers ins Freie schleifte. Sie hielt mich unter den Armen und zerrte mich Stufe für Stufe die Treppe hoch, hinaus auf den hinterm Haus gelegenen Parkplatz. Der Nachtwind traf eisig mein Gesicht und meine auf dem Pflaster nachschleifenden Füße.
»Was soll das werden?«, murmelte ich.
Ich konnte nicht sehen, wohin sie mich brachte. Vor mir schwankte das Panorama des Hinterhofgärtchens auf und ab. Die einzige Laterne beleuchtete matt die wenigen Büsche und den bereiften Rasen.
Ich schrie auf, als sie mich fester packte.
»Brüll nicht so. Wir haben’s
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