Beiß mich, wenn du dich traust
er meinen letzten Geburtstag wirklich versäumt, um mein Leben zu retten? War die Geburt von Stormy wirklich nichts, worüber man sich aufregen muss? Ich bin so lange wütend auf ihn gewesen, dass es mir schwerfällt zu akzeptieren, dass ich ihm unrecht getan haben konnte. Falls wir je wieder aus diesem Schla-massel herauskommen, müssen wir unbedingt ein bisschen Zeit miteinander verbringen, um uns über einiges klar zu werden.
Ich hoffe, ihm und Mom geht es gut im Elfen-reich. Meine Gefühle gegenüber meinem Vater mögen widersprüchlich sein aber es würde mich hundertprozentig umbringen, wenn Mom etwas zustieße. Meiner besten Freundin. Die mich bedingungslos liebt, egal, wie daneben ich mich benehme. Ich darf sie nicht verlieren. Nicht an diese Elfen, an niemanden.
Ich höre ein gedämpftes Geräusch und luge unter der Decke hervor. Sunny wirft sich in rastlosem Schlaf von einer Seite auf die andere und stöhnt dabei leise. Armes Schwesterherz. Ich fühle mich mies, weil ich sie vorhin so angemacht habe. Sie hat schließlich das Recht, ihr Unglück herauszu-schreien, was noch dazu wahrscheinlich erheblich gesünder ist, als es in sich hineinzufressen, wie ich es in der Regel tue. Aber ich hasse es, sie so verängstigt und verletzlich zu sehen. Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, dafür zu sorgen, dass ich die Elfenkönigin werde und nicht sie.
Nicht, dass ich das wollte - Hölle, ich sehe absolut schrecklich aus in Rosa -, aber ich würde es ohne Zögern tun, wenn sie dafür in der Menschenwelt bleiben könnte, wie sie es sich so sehr wünscht.
Ich hebe einen Arm und betrachte meinen Ellbogen. Ob es wirklich so einfach ist wie ein schneller Kuss, wie Mom angedeutet hat? Ein simpler Kuss, um das Leben meiner Schwester zu retten und zu verhindern, dass sie jemals etwas werden muss, das sie nicht sein will? Zaghaft hebe ich den Kopf und drücke meine Lippen auf die runzelige Ellbogenhaut, während ich am ganzen Körper erwartungsvoll bebe.
Eins, zwei - nichts.
7
Am nächsten Morgen wache ich mit den schlimmsten Rückenschmerzen aller Zeiten auf.
Für eine schnieke Privatschule sind die Betten in Achtal echt extrem durchgelegen. Ich schiele zu Sunny hinüber, die immer noch die Decke über den Kopf gezogen hat, dann fällt mein Blick auf die Uhr Zehn vor sieben. Oha. Wir haben genau zehn Minuten Zeit, um uns anzuziehen und zum Unterricht zu sprinten - oder den Zorn von Direktorin Roberta auf uns zu ziehen.
»Sunny, wach auf!« Ich springe aus dem Bett, um meine Schwester wach zu rütteln. Sie protestiert stöhnend. »Steh auf und mach dich fertig.«
»Noch fünf Minuten«, fleht sie.
»Wie wär's mit fünf Sekunden? Eins, zwei. . .«
»Okay, okay!« Meine Zwillingsschwester setzt sich auf und reibt sich die blutunterlaufenen Augen. Hat sie etwa die ganze Nacht durchge-heult? »Mann, hast du schon mal an eine Karriere als Wecker gedacht? Du bist bestimmt überqua-lifiziert, was die Kunst des Nervens angeht«, murrt sie.
»Es ist zu deinem eigenen Besten, Sun«, zitiere ich und wühle in meinem winzigen Wohnheim-schrank nach etwas Passendem zum Anziehen.
»Du willst doch nicht, dass diese Hexe von Direktorin dir aufs Dach steigt. Oder am Ende noch mir.« Ich werfe einen Blick auf meinen Stundenplan, den Lilli mitgebracht hat, als sie gestern mit dem Mittagessen vorbeikam -
getoastete Käsesandwiches und ein riesiger Krug tiefrote Kool-Aid-Limo, was am Ende alles im Müll gelandet ist, da Sunny nicht essen wollte und ich nicht kann. Wie es aussieht, habe ich den größten Teil des Tages über Kampftraining, also denke ich, dass ein Jogginganzug wahrscheinlich praktischer ist als meine normalen schwarzen Spitzenkleider.
Auf Make-up muss ich verzichten. Trotzdem schaffen wir es aber, dreißig Sekunden vor Unterrichtsbeginn unten auf der Wiese zu stehen, wo der Unterricht stattfindet. Die Morgenluft ist frisch und kühl und die anderen Schüler drängen sich Wärme suchend aneinander. Ich halte Ausschau nach unserer einzigen Freundin, aber Lilli ist nirgends zu sehen. Muss wohl in einem anderen Kurs sein.
Ein Mann in den Vierzigern mit einem Klemm-brett unter dem Arm, einem Pornostar-Schnurrbart und Muskeln, die Mr Universum extrem neidisch machen würden, kommt auf uns zu und schaut auf seine Liste. »Welche von Ihnen ist Rayne?«, fragt er.
Ich hebe die Hand.
»Okay, sehr gut. Sie sind in meinem Kurs.
Sunshine?« Er wendet sich an meine Schwester.
»Man hat Sie den Anfängern zugeteilt. Die
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