Beiß mich, wenn du dich traust
die Kom-bination aus trockenem Lesestoff, einem beque-men Sessel und dem warmen Raum lullt mich ein, sodass ich mal kurz die Augen zumache ...
»Entschuldigung? Miss?«
Ich spüre eine grobe Hand auf der Schulter und schrecke abrupt aus dem Schlaf hoch. Ein Mann mit Knopfaugen, großer Nase und noch größerem Bierbauch schaut auf mich herab. Er trägt einen hellblauen Overall und hat einen Besen in der Hand.
»Tut mir leid, Miss«, sagt er. »Die Bibliothek wird jetzt geschlossen. Und Sie sollten schon längst in Ihrem Zimmer sein. Sie gehen jetzt besser ins Wohnheim, bevor Johan Sie erwischt.«
Huch, wie lange hab ich denn hier geschlafen?
Ich raffe mich auf und vergesse, dass ich einen Stapel Bücher auf dem Schoß habe, die folglich alle auf den Boden poltern. Der Hausmeister sieht auf die Titel und seine Augen weiten sich erstaunt.
»Elfen?«, fragt er und mustert mich argwöhnisch.
»Äh ja. Für ein . . . Hausarbeits-Projekt«, antworte ich und weiß nicht, warum ich plötzlich so nervös bin. Was kümmert es mich, was irgendein Hausmeister denkt? »Ein Aufsatz über die Geschichte der Sidhe.«
Der Hausmeister sieht mich durchdringend an -
als würde er mir nicht glauben - und ich winde mich unter seinem Blick. War das jetzt ein Fehler? Habe ich mich gerade verraten?
Dann zuckt er die Achseln und beginnt, die Bücher aufzuheben. »Ich werde die hier für Sie wegräumen«, sagt er. »Sie sollten jetzt in Ihr Wohnheim gehen.«
Ich nicke und schnappe mir meine Jacke, dann haste ich zum Ausgang der Bibliothek. Mir ist total unheimlich zumute. Ich drehe mich noch einmal nach dem Hausmeister um, der sich in den Sessel gesetzt hat und in meinen Büchern blättert.
Verwirrt schüttele ich den Kopf. Werden wir jetzt paranoid, Rayne? Ich meine, wen schert es, wenn der Hausmeister weiß, was ich lese? Oder sonst jemand? Es wird ja wohl kaum jemand sagen: »Hey, sie liest ein Buch über Elfen - ich wette, sie ist selbst eine!«
Trotzdem kann ich meine Nervosität nicht abschütteln, als ich aus der Bibliothek schlüpfe und auf dem Kopfsteinpflasterweg zum Wohnheim laufe. Das Schulgelände ist still und dunkel, alle guten Jägerinnen und Jäger sind längst im Bett.
Nur in einem Gebäude brennt noch helles Licht und durch die Ritzen in den vernagelten Fenstern kann ich Schatten erkennen, die sich hin und her bewegen. Eine seltsame Spannung flirrt in der Luft und alarmiert alle meine Vampirsinne. Die feinen Härchen auf meinen Armen richten sich auf und ein kalter Schauer überläuft mich. Neugierig betrachte ich das Gebäude und frage mich, was um alles in der Welt da drin vor sich geht.
Trainieren dort wirklich Alpha-Jäger für geheime Missionen? Und wenn ja, warum tun sie es so spät in der Nacht? Haben sie irgendein Geheim-nis, von dem die übrigen Jäger nichts wissen sollen?
Von Neugier getrieben, schleiche ich mich näher heran. Plötzlich öffnet sich die Vordertür mit einem Knarren und eine einzelne Gestalt tritt heraus, die einen länglichen Sack hinter sich herzieht. Ich springe beiseite und versuche, mich in den Schatten zu verstecken, aber die Gestalt hat mich bereits erspäht. Mist.
»Rayne McDonald?«, fragt sie. »Was tun Sie hier draußen?«
Na toll. Ausgerechnet Direktorin Roberta. Der letzte Mensch, dem ich jetzt gerade begegnen will. Sie sucht ja praktisch nur nach einem Vor-wand, um mich durch den Nanovirus zu elimi-nieren, und hier präsentiere ich ihr auch gleich einen auf dem Silbertablett.
»Äh, es tut mir leid, ich bin in der Bibliothek eingeschlafen«, stammele ich. »Ich wollte nicht...
ich bin ... ich bin jetzt auf dem Rückweg ins Wohnheim.«
Die Schulleiterin sieht mich mit schmalen Augen an, schürzt die Lippen und runzelt die Stirn.
Zuerst denke ich, sie bereitet eine Strafpredigt vor, aber dann scheint sie ihre Meinung zu ändern. Sie schüttelt den Kopf und deutet den Hügel hinauf.
»Gut«, sagt sie. »Aber gehen Sie jetzt sofort ins Haus. Und lassen Sie sich nicht noch einmal nach Einbruch der Dunkelheit draußen erwischen.« Sie stockt, dann fügt sie drohend hinzu: »Sonst...«
Ich mache keinen Versuch zu widersprechen und flitze den Hang hinauf. Im Rücken kann ich ihren harten Blick spüren. Wenn Blicke tatsächlich Löcher in einen brennen könnten, wäre ich jetzt ein Schweizer Käse.
Schnell reiße ich die Tür zum Wohnheim auf und husche hinein, wobei ich der Versuchung nicht widerstehen kann, einen letzten Blick den Hügel hinunterzuwerfen. Zum Glück
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