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Beiss noch einmal mit Gefuehl

Beiss noch einmal mit Gefuehl

Titel: Beiss noch einmal mit Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tate Hallaway
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dass hinter der Flügeltür Dutzende Tote lagen, wurde mir ganz anders. Ich ging die ganzen fünfzehn Minuten, bis die beiden mit Parrishs Sarg zurückkehrten, rastlos in dem kleinen Raum auf und ab.
    Auf das, was als Nächstes kam, war ich nicht gefasst. Der blonde junge Mann, der sich inzwischen als Gary vorgestellt hatte, winkte Sebastian und mich in den Raum hinter der schrecklichen Flügeltür. Als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte, sagte er: „Hey, solange Sie nicht reingerollt werden, ist alles gut.“
    Ich versuchte zu lächeln, doch der Anblick der zahlreichen Edelstahltische und Abflüsse ließ mich erstarren. Es waren sehr viele Abflüsse. Für die ganzen Körperflüssigkeiten, dachte ich bei mir. Der stechende Geruch von Formaldehyd hielt sich hartnäckig in meinem Rachen.
    Immerhin war ich durch die vielen Krimis, die ich mit Izzy geguckt hatte, auf die Kühlanlage mit ihren zahllosen Schubladen vorbereitet. Gary zog eine heraus, und schon lag Parrish, züchtig von einem Laken bedeckt, vor uns. Seine Haut war mit einer hauchdünnen Eisschicht überzogen, und seine Lippen waren blau angelaufen. Große Göttin, hoffentlich war wirklich alles in Ordnung mit ihm! Ich berührte vorsichtig seine Wange und suchte nach irgendeinem Lebenszeichen.
    „Ich lasse Sie einen Moment allein, ja?“, bot Gary freundlich an und entfernte sich.
    „Ja, aber nur einen Moment“, sagte Sebastian, was mir sehr unhöflich vorkam. Als ich ihn erstaunt ansah, flüsterte er mir ins Ohr: „Er ist schon zu lange in der Kühlung. Er bekommt einen furchtbaren Leichenhallen-Kater.“ Auf meinen fragenden Blick hin fügte er hinzu: „Das ist wie Hirnfrost, wie ein richtig schlimmer Kältekopfschmerz.“
    „Woher weißt du das?“
    „Ich habe schon mal etwas Ähnliches erlebt; bin beim Eisfischen auf einem See oben im Norden eingebrochen.“
    „Schaffen wir ihn schnell von hier fort!“, sagte ich.
    Sebastian winkte Gary zu uns, der am anderen Ende des Raumes wartete. Er verglich meine Papiere mit dem Schild an Parrishs Fuß, dann machten er und Sebastian den Trick mit dem Laken und verfrachteten Parrish geschickt in seinen Sarg.
    „Was für ein schöner Kiefernholzsarg“, bemerkte Gary und fuhr mit der Hand über die Frachtgut-Aufkleber. „Solche Antiquitäten bekommt man wirklich nicht oft zu sehen. Ich meine, wenn sie einmal in Benutzung sind, verschwinden sie ja in der Regel von der Bildfläche.“
    Oje, da hatte er recht. Ob wir vielleicht besser einen neuen besorgt hätten?
    „Hab ich von eBay“, entgegnete Sebastian wie aus der Pistole geschossen. „Ich nehme an, er wurde im Voraus gekauft und leer verschifft.“
    „Und dann? Ist der Typ irgendwann umgezogen, ohne seinen Sarg mitzunehmen, und die Familie hat ihn über Generationen in der Garage aufbewahrt?“ Sebastian und ich sahen uns nervös an, aber Gary beantwortete seine Frage selbst. „Die Menschen tun seltsame Dinge.“
    „Immerhin war er billig“, sagte Sebastian. „Ist doch besser, als beim Bestattungsinstitut einen überteuerten Preis dafür zu zahlen.“
    „Stimmt“, entgegnete Gary nickend. „Das Laken können Sie übrigens behalten. Das müssen Sie nicht zurückbringen.“
    „Danke“, sagte ich und überlegte, welche Leute wohl auf die Idee kamen, ein benutztes Leichentuch zurückzugeben.
    Der Eisfilm auf Parrishs Gesicht taute, und es bildeten sich kleine Wassertröpfchen. Sebastian und ich legten den Deckel auf den Sarg. Mir war nicht wohl dabei, denn es fühlte sich irgendwie falsch an, Parrishs Gesicht nicht sehen zu können, doch wir mussten ihn vor der Sonne schützen.
    Gary begleitete uns zum Wagen.
    „Sie sind aus der Hexenbranche, nicht wahr?“, fragte er, als wir den Korridor hinuntergingen. Alle, die uns unterwegs begegneten, wandten den Blick ab, sobald sie den Sarg bemerkten.
    „Ich schon“, entgegnete ich. „Er ist Alchemist.“
    „Genau genommen bin ich ein exkommunizierter Katholik“, korrigierte Sebastian mich mit einem schiefen Grinsen.
    „Warum? Möchten Sie irgendetwas wissen?“, hakte ich nach.
    Ich hielt die Tür auf, während Sebastian die Rollbahre nach draußen schob. Die Sonne schien, und es war keine einzige Wolke am Himmel, wenn man einmal von den grauen Schwaden des rauchenden Krankenhauspersonals absah, das sich unter dem Dachvorsprung versammelt hatte.
    „Nein, nein“, sagte Gary mit einem verschmitzten Grinsen. „Ich wollte nur ,Frohes Zusammenkommen“ sagen.“
    Der Junge war also einer von uns.

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