Beiss noch einmal mit Gefuehl
von Wehmut um seine Mundwinkel spielen zu sehen.
„Wo willst du eigentlich hin?“, fragte ich.
„Ich weiß es noch nicht genau. Hängt davon ab, wie tief ich abtauchen muss. Vielleicht lege ich mich eine Weile schlafen, vielleicht fahre ich aber auch nach Hause.“
Ich setzte mich auf die Bettkante. „Du legst dich schlafen? Damit meinst du vermutlich kein Nickerchen, oder?“
Er öffnete die Augen einen Spalt. „Ich meine den Todesschlaf.“ Mein verwirrter Gesichtsausdruck veranlasste ihn wohl, mir zu erklären: „Das ist eine Art verlängerter Winterschlaf, wenn man so will. Ältere Vampire greifen gern mal auf diesen Trick zurück, um ein paar Generationen zu verschlafen, damit sich ihre Nachbarn nicht irgendwann fragen, warum sie gar nicht altern. Und wenn man wieder aufwacht, erfindet man sich neu. Wie ich hörte, klappt das ganz hervorragend.“
„Du hast es noch nie gemacht?“
Parrish reckte sich und gähnte. „Noch nie länger als ein Jahr, und das auch nur unabsichtlich. Ich hatte lediglich ein paar Monate schlafen wollen, doch die Versuchung, einfach in diesem Zustand zu bleiben, ist erstaunlich groß.“
Um Himmels willen!
„Und wie sieht dein Plan konkret aus?“, fragte ich.
Er setzte sich und lehnte sich gegen das Kopfteil des Bettes. „Habe ich denn einen?“
„Das will ich hoffen!“
„Ich dachte eigentlich, ich überlasse dem FBI den ersten Zug. Ich fahre einfach ganz normal los, und wenn sie mir auf den Pelz rücken, na ja, dann türme ich.“
„Türmen? Das ist dein Plan?“
Er lächelte mich an, als wollte er sagen: „Clever, nicht?“
„Parrish, die haben Schusswaffen!“, rief ich entgeistert.
„Ich hoffe sogar, dass sie schießen.“
„Was? Wieso?“
„Damit ich sterben kann.“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich mir klargemacht hatte, dass Parrish natürlich keine selbstmörderischen Absichten hegte.
„Der Tod erspart mir nicht zuletzt die immensen Gerichtskosten“, sagte er. „Und ich umgehe eine lebenslängliche Haftstrafe, die die Sonne am Zellenfenster natürlich erheblich verkürzen würde.“
Ich sah ihn im flackernden Schein der Kerzen ungläubig an. „Weißt du, was? Dein toller Plan wird in die Hose gehen!“, sagte ich und stand auf.
Parrish sah mich niedergeschlagen an. „Warum?“
„Meinst du, die lassen deine Leiche einfach liegen und gehen nach Hause?“
„Nein, sie bringen mich in die Leichenhalle. Wo du mich abholen wirst.“
„Ich?“ Meine Stimme überschlug sich.
„Ja. Du darfst nicht zulassen, dass ich verbrannt oder, was noch schlimmer wäre, einbalsamiert werde. Dann wäre ich wirklich am Arsch.“
„Warum?“, fragte ich. „Ich meine, nicht verbrennen ist klar; Feuer ist nicht gut. Aber was würde denn passieren, wenn sie dich einbalsamieren?“
„Dann sterbe ich. Überleg doch mal, Garnet! Das ganze Blut wird aus den Adern gelassen und Formaldehyd hineingepumpt. Das bringt so gut wie jeden um. Hast du dich noch nie gefragt, warum es nicht so viele Vampire gibt, die nach dem Bürgerkrieg auferstanden sind?“
Ich hatte überhaupt nicht gewusst, dass es davon kaum welche gab. „Nein, warum?“
„In dieser Zeit hat man begonnen, Leichen einzubalsamieren, bevor sie verschifft wurden. Und inzwischen werden die meisten Leute eingeäschert. Außerdem ist die Zahl der Autopsien gestiegen, und es gibt Betongruften und Betonplatten auf Gräbern. Man hat als Vampir wirklich keine Chance mehr, die vielen Schikanen nach dem Tod zu überleben.“
„Ist Einbalsamieren denn nicht gesetzlich vorgeschrieben?“
„Nicht in Wisconsin. Was meinst du, warum es hier so viele Vampire gibt?“
Waren sie in Wisconsin tatsächlich so zahlreich vertreten? Sollte sich „Amerikas Milchstaat“ dann nicht umbenennen in „Amerikas Vampirparadies“?
Parrish redete eifrig weiter, als freute er sich, sein umfassendes Wissen über die Gesetze zum Umgang mit Toten weitergeben zu können. „Es gibt noch mehr Staaten, in denen Einbalsamierung nicht vorgeschrieben ist, doch wegen der Amischen Gemeinde ist Wisconsin besonders liberal, was Beerdigungsvorschriften angeht.“
„Verstehe.“ Das Gespräch hatte eine reichlich merkwürdige Wendung genommen. „Ich kann dir sagen, was du dir da ausgedacht hast, wird garantiert nicht funktionieren. Wäre es nicht schlauer, richtig zu türmen? Irgendwohin abzuhauen, ganz weit weg?“
„Ich kann dem Knast nur durch den Tod entgehen, Garnet. Und hier habe ich durch dich wenigstens die
Weitere Kostenlose Bücher