Beiss noch einmal mit Gefuehl
die verrücktesten Dinge mit einem Menschen anstellen“, sagte Sebastian.
„Schon, aber William wirkt völlig kalt und herzlos. Er hat mir erzählt, wie er sich mit Hühnerblut bespritzt hat, als wäre nichts dabei.“
Sebastian schien darüber nachzudenken, während er nach weiteren Hirschen Ausschau hielt. Als er keine entdeckte, beschleunigte er wieder. „Du hast recht. Das klingt wirklich nicht nach unserem William.“
Wir fuhren an flachen Hügeln entlang. Die kahlen Äste von Eichen und Ahornbäumen hoben sich im Scheinwerferlicht vom dunklen Himmel ab. Ein von Halogenstrahlern beleuchteter weißer Kirchturm tauchte die nackten Bäume ringsum in einen unheimlichen Schein.
„Hast du schon mal gegen eine Voodoo-Priesterin gekämpft?“, fragte ich. Ich dachte, es sei einen Versuch wert, denn schließlich war Sebastian tausend Jahre alt.
„Nein, doch ich war schon mal für kurze Zeit von einem Loa besessen.“
„Wirklich?“
„Ich war nicht ganz unschuldig daran. Ich nehme an, als die Geister, die bei dem Ritual anwesend waren, den Vampir im Publikum sahen, fanden sie die Idee wahnsinnig komisch, einen Totengott Besitz von dem toten Knaben ergreifen zu lassen.“
„Wow.“ Was sollte ich auch sonst sagen?
„Ja, und ich hätte fast einen Exorzisten gebraucht, denn er wollte mich partout nicht verlassen. Glücklicherweise war aber auch die Mambo der Ansicht, dass es extrem blöd wäre, den Voodoo-Geist des Todes die ganze Zeit im Körper eines Weißen herumlaufen zu lassen.“
Nach meinen Erfahrungen mit Lilith konnte ich mir gut vorstellen, wie beängstigend dieses Erlebnis gewesen sein musste, auch wenn Sebastian ohne die geringste Regung davon erzählte.
„Meinst du, du kannst mir bei William helfen?“, fragte ich.
„Soll ich?“
Ich wollte gerade „Natürlich!“ sagen, als ich plötzlich von grellem Motorradlicht geblendet wurde. Parrish kam direkt auf uns zu.
Sebastian trat voll auf die Bremse. Es gab keinen Randstreifen, auf den er hätte ausweichen können, nur etwas losen Schotter, bevor es steil nach unten in den Entwässerungsgraben ging. Ich stemmte meine Hände gegen das Armaturenbrett, doch dann kamen wir schlitternd zum Stehen. Als Parrish an uns vorbeiraste, sah ich ganz kurz seine flatternde Lockenmähne.
Die Polizei war ein gutes Stück hinter ihm. Wir hörten zuerst nur die Sirenen, dann sahen wir das Blaulicht. Doch plötzlich wurden wir in zuckendes, grelles Licht getaucht, als sie an uns vorbeibretterten, und das Sirenengeheul war schier ohrenbetäubend.
„Tja, wir haben sie gefunden“, sagte Sebastian. Wir waren dem Graben bedrohlich nah gekommen, und er setzte den Wagen vorsichtig wieder zurück. Er hatte gerade gewendet, als der große weiße Van eines Fernsehsenders angerast kam. Wir ließen ihn vorbei und schlossen uns dann der Parade an.
Sebastian drückte auf den Beleuchtungsknopf an seiner Armbanduhr, warf einen Blick auf das grün aufleuchtende Display und schüttelte den Kopf. „Schlechtes Timing“, murmelte er. „Er kann sich nicht mehr lange genug jagen lassen, bevor ihm das Benzin ausgeht.“
„Lange genug wozu?“
„Bis zum nächsten Schichtwechsel in der Leichenhalle. Man plant das natürlich so, dass man genau dann reingebracht wird, wenn die eine Schicht geht und die andere kommt.“ Sebastian nagte an seiner Unterlippe. Es war erstaunlich, aber er schien ehrlich besorgt um Parrish zu sein. „Der Schichtwechsel danach ist dann schon gefährlich nah an der Morgendämmerung. Um sechs Uhr.“
Ich beobachtete, wie die Lichterkette vor uns an der nächsten Kreuzung nach rechts abbog. „Weshalb ist das so wichtig?“
„Er hat doch vor, gleich wieder aufzustehen und rauszumarschieren, oder?“
„Nein. Er will für tot erklärt werden, damit das FBI den Fall zu den Akten legt.“
„Da könnte er doch einfach das Zehen-Schildchen mit jemandem tauschen. Weißt du, wie schnell heutzutage eine Leiche verloren gehen kann?“
„In Madison?“
Sebastian dachte darüber nach. „Stimmt. Aber trotzdem. Die ganze Sache erscheint mir doch äußerst riskant. Was ist mit der Autopsie?“
„Er hat gesagt, sie würden keine machen, wenn die Todesursache so offensichtlich ist.“
„Möglicherweise. Doch er ist der Hauptverdächtige in einem Fall, für den das FBI zuständig ist. Die sind besonders gründlich, Garnet“, sagte Sebastian. „Und wenn sie aus irgendeinem Grund auf die Autopsie verzichten, dann nehmen sie auf jeden Fall eine
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