Beißen will gelernt sein (German Edition)
aufhören?«
»Genau. Jetzt sind Sie ja da. Ich habe ihn nicht allein gelassen und auf Sie gewartet – sagen Sie ihnen das. Aber jetzt ist er Ihr Problem!«
»Mais qui? Wo ist er denn?«
Wir ignorierten beide meinen Rucksack. »Mein Problem? Ich wüsste nicht … «
»Das ist es ja, begreifen Sie es denn nicht?« Sie packte mich am Arm und sah mich eindringlich an. Draußen hupte der Taxifahrer. »Alles sieht völlig in Ordnung aus, aber das ist es nicht. Hier ist überhaupt nichts in Ordnung, und wenn Sie es nicht erkennen, bevor es zu spät ist, dann ist alles verloren!«
Bevor ich nachhaken konnte, was sie damit meinte, schleppte die Nanny bereits ihre Taschen nach draußen. »Ich komme sofort wieder«, sagte sie zu dem Taxifahrer und kehrte ins Haus zurück, um ihre restlichen Sachen zu holen.
»Es tut mir leid, aber hier scheint eine Verwechslung vorzuliegen. Ich habe nicht vor, Sie zu vertreten. Ich bin zum Unterrichten gekommen … « Ich zog den Auftrag des Lehrinstituts aus der Tasche. »Damian Tomas, Schüler, zehn Jahre.«
Die Frau blieb in der Tür stehen. »Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, dann hauen Sie auf der Stelle ab. Das Monster kommt allein zurecht, es braucht keine Hilfe.«
»Monster?«, ertönte es aus meinem Rucksack. »Qui est un Monster?«
Ich klammerte mich verzweifelt an das letzte Fünkchen Hoffnung, dass das Ganze nur ein großes Missverständnis war, aber allmählich beschlich mich doch ein ungutes Gefühl. »Was ist mit seinen Eltern?«
»Die waren so clever, sich aus dem Staub zu machen.« Die Nanny bepackte sich mit einem Stoffbeutel und einem Pappkarton und warf einen hasserfüllten Blick an die Zimmerdecke, bevor sie mich derart durchdringend ansah, dass sich mir die Nackenhaare sträubten. »Fürchten Sie sich, Lehrerin! Das sollten Sie wirklich. Und schützen Sie Ihre Seele!«
Ich öffnete überrascht den Mund, doch bevor ich einen zusammenhängenden Satz hervorbringen konnte, war sie bereits bei dem Taxi. Der Fahrer lud ihre Sachen ein und sie stieg in den schwarzen Wagen und knallte die Tür zu.
»Zum Henker!«, fluchte Sally.
Ich sah dem Taxi hinterher, dann drehte ich mich langsam zu der Treppe um, die in den ersten Stock führte. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin ein bisschen beunruhigt.«
»Seulement ein bisschen?«
»Na gut, mehr als ein bisschen. Wie schlimm muss ein Kind sein, wenn es seine Nanny schon nach einem Tag in die Flucht schlägt?«
»Merde!«, sagte Sally. »Il est temps, dass du von hier verschwindest! Und zwar sofort! Mais zuerst tu me prends aus dem Rucksack!«
»Ich hole dich nicht heraus, bevor ich nicht … «
Ich wurde von einem rhythmischen Hämmern unterbrochen, das von oben kam.
»Allez, allez!«, drängte Sally und mein Rucksack begann heftig zu wackeln.
Ich straffte die Schultern. »Du weißt, dass mich so leicht nichts schrecken kann.« Kühne Worte, denn eigentlich saß mir die Angst bereits im Nacken und ich hatte den dringenden Verdacht, dass ich mich auf etwas eingelassen hatte, dem ich beileibe nicht gewachsen war. Ich ging auf die Treppe zu. »Hallo? Ist da jemand? Ich bin Ysabelle. Ich bin die Lehrerin!«, rief ich nach oben.
Das Hämmern hörte auf. Die plötzliche Stille im Haus war geradezu unheimlich.
»Ce n’est pas normal!«
»Sei still!« Ich atmete tief durch. »Vor einem kleinen Kind braucht man keine Angst zu haben, auch wenn es seine Nanny vergrault hat.«
Sally schnaubte. Ich stellte meinen Rucksack ab und ging langsam die Stufen hoch. Bevor ich den Treppenabsatz erreichte, lugte oben ein Kopf um die Ecke und sah zu mir herunter.
Erst in diesem Moment merkte ich, dass ich unwillkürlich die Luft angehalten hatte. »Hallo! Ich bin Ysabelle. Du musst Damian sein.« Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber der Junge sah völlig normal aus. Das Auffälligste an ihm waren seine tiefblauen Augen, mit denen er mich aufmerksam beobachtete. In der einen Hand hielt er einen Hammer, in der anderen eine kleine Dose. »Freut mich, dich kennenzulernen. Machst du dich gerade handwerklich nützlich?«
Als ich die letzten Stufen hinaufging, runzelte Damian die Stirn. »Wo ist Abby?«
»Du meinst deine Nanny?«
»Ich bin zu alt für eine Nanny«, entgegnete er verächtlich. Er hatte einen leichten Akzent, der nach europäischem Festland klang. »Sie war hier, um auf das Haus aufzupassen, solange mein Vater und Nell auf Reisen sind.«
»Nell ist deine Stiefmutter?«, fragte ich.
Er
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