Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
in Größe und Umfang durchaus mit Jupp aufnehmen könnte.
»Er pilgert«, erläutert Gudrun mit leuchtenden Augen und deutet auf einen knorrigen Stab an der Garderobe. »Jakobsweg, du weißt schon.«
»Mitten im Winter?«
»Pilgern bedeutet nicht, es sich so leicht wie möglich zu machen«, entgegnet er. »Beschwernisse gehören dazu. Vor allem auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Aber ehrlich gesagt, mit so viel Schnee habe ich hier nicht gerechnet.«
»Muss man aber in der Schnee-Eifel«, informiere ich ihn, »und außerdem befinden Sie sich etwas abseits Ihrer Route.«
Wie so manch anderer Pilger, der im Sommer den Baum mit der wegweisenden Jakobsmuschel verpasst und daraufhin knapp einen Kilometer weiter westlich muschelsuchend bei uns einkehrt. Nach einem stärkenden Mahl führen wir die Leute dann normalerweise auf den rechten Weg Richtung Prüm zurück.
»Ich weiß, die Route geht über Ormont«, sagt er nickend und deutet hinter sich. »Aber weil der Bunker abgeschlossen war, wollte ich mir angesichts des Wetters lieber ein Zimmer für die Nacht suchen.«
»Welcher Bunker?«, frage ich. Mit Schaudern fällt mir jene Nacht ein, die ich einst unfreiwillig in einem Bunker nahe Biancas heutigem Schafstall verbracht habe.
»Beim südlichsten Punkt Nordrhein-Westfalens«, sagt er. »Da soll es einen einigermaßen wohnlich eingerichteten Bunker geben.«
»Quatsch«, sagt Gudrun wieder. »In unseren Bunkern richten sich nur Fledermäuse wohnlich ein.«
»Dachse auch«, erinnere ich sie. »Wildkatzen, Luchse, Spitzmäuse, Eidechsen und anderes Viehzeugs.«
Als Refugium für Tiere sind in der dunkelsten Zeit unserer Geschichte weder die Drachenzähne der Höckerlinie noch die unzähligen Bunker rund um die Kehr erbaut worden, aber acht Bunker des einstigen Westwalls stehen der Natur zuliebe heute sogar unter Denkmalschutz. Alle diese finsteren Unterschlupfe kennen wir – aber darunter gibt es keinen, in dem man sorglos eine Nacht verbringen könnte. Ich frage, welche Jakobsmuschelbücher ein solches Obdach empfehlen.
»Jakobsweg!«, berichtigt mich Gudrun. »Jakobsmuschel! Du denkst wirklich nur ans Essen, Katja.«
Jakobsmuscheln wären in der Tat mal eine erfreuliche Abwechslung. Sollte es morgen nicht mehr so heftig schneien, könnte ich kurz im Luxemburger Einkaufszentrum vorbeischauen und tiefgefrorene Exemplare mitnehmen. Ihr höchst diskreter Geschmack lässt sich durch Karamellisieren fein aufpeppen. Wenn ich dann noch mit belgischem Chicorée eine bittere Note und mit Avocado-Limetten-Schaum eine saure hinzufüge, werden alle Sinneszellen der Zunge einen Aromatanz aufführen können. Da Chicorée frisch vom Bauernhof am besten schmeckt, könnte ich unterwegs in Burg-Reuland bei allen belgischen Landwirtschaftsbetrieben unter diesem Vorwand anklopfen. Um dabei gleich weiterführende Fragen zu stellen, die mich auf Davids Spur bringen könnten.
Nein, antwortet Herr Tillmanns jetzt, der wohnliche Bunker werde in keinem Buch beschrieben; das sei ein Geheimtipp, er habe davon über mehrere Ecken von einem – er zögert kurz – Kollegen gehört.
»Etwa ein Kollege von der Hundeschule?«, frage ich bissig.
Er lacht.
»Nein, mit Schafen kenne ich mich besser aus.«
»Sind Sie Hirte?«, fragt Bianca aufgeregt.
»Gewissermaßen.«
»Dann sollte ich Ihnen alle meine Schafe überlassen«, sagt sie tief betrübt. »Bei Ihnen werden sie es ganz bestimmt besser haben!«
Ein Kollege … Die Härchen auf meinen Unterarmen stellen sich auf. Gudrun und ich wechseln einen Blick. Gudruns Problem, Doppeldeutigkeiten zu begreifen, hört meistens da auf, wo Kirche anfängt.
»Sie sind also Pastor?«, fragt sie mit leicht zitternder Stimme.
Herr Tillmanns nickt.
»Ja, dann …«, sagt Gudrun unschlüssig. Ich sehe, wie es hinter ihrer gerunzelten Stirn arbeitet: Ist es nun angesichts des letzten katastrophalen Priesterbesuchs in der Einkehr ein gutes oder ein schlechtes Omen, wenn uns schon wieder ein Pastor seine Aufwartung macht?
Unverwandt starrt sie auf Herrn Tillmanns und rezitiert schließlich monoton: »Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir.«
»Schön wär’s«, seufzt Bianca.
»Sehr schön«, entgegnet der Mann, »Johannes 10. Wissen Sie, wie es weitergeht?«
»Nicht auswendig«, sagt Gudrun.
»Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen, und niemand wird sie meiner Hand entreißen.«
Ein Schauer läuft mir über den Rücken. So ein
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