Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
einem Stuhl neben Bianca nieder, rüttele sie an der Schulter und versuche die Bilder von durchgebissenen Tierkehlen, hervorquellenden Eingeweiden und blutrot gefärbter Wolle auf verklebtem Heu vor meinem inneren Auge zu vertreiben.
»Sag, dass das nicht wahr ist! Linus hat kein Schaf gerissen!«
Bianca heult weiter.
Ich wende mich um und blaffe den Mann an: »Was haben Sie gemeint mit hat nicht viel gefehlt ?«
»So wie ich es sage. Unausgebildete und unerzogene Hunde sind für Schafe lebensgefährlich. Es ist wirklich unverantwortlich, diesen ungehorsamen Rüden …«, liebevoll klopft er Linus die Flanke, »… auf die armen Schafe loszulassen. Wissen Sie eigentlich, dass er obendrein noch ein ordentliches Stück Kampfhundanteile in sich trägt? In diesem vermeintlichen Labrador schlummert ein Staffordshire Terrier!«
»Dann wecken Sie den bloß nicht auf«, gebe ich zurück und wende mich wieder Bianca zu, die jetzt lauthals klagt.
»Alles mache ich falsch, nichts kriege ich auf die Reihe, mein ganzes Leben ist soo sinnlos! Und dann noch dieses blöde Schaf!«
»Ach ja, dat arme Dier«, sagt der Mann mit unerträglicher Gelassenheit.
»Tot?«, flüstere ich.
Er schüttelt den Kopf.
»Deprimiert.«
Ich atme erleichtert aus. Um ein deprimiertes Schaf kann ich mich jetzt wirklich nicht kümmern. Ich klopfe Bianca aufmunternd auf den Rücken.
»Depressionen gehen vorbei. Bestimmt auch bei Schafen.«
Räuspernd macht mich Gudrun auf meine gestörte Wahrnehmung aufmerksam.
»Bianca hat das arme Dier. Das sagt man so im Bergischen, wenn jemand sehr, sehr traurig ist.«
Wie Gudrun über Davids Abgang. Ihre umflorten Augen verraten mir mehr, als ich wissen will. Offensichtlich glückt es Robert ebenso wenig, ihr armes Dier im Zaum zu halten, wie seiner Tochter das eigenwillige Schaf. Wenn jetzt neben der Eifeler auch noch die Bergische Sprache in unserem Restaurant Einzug hält, sollten wir es in Babylon umtaufen.
Gudrun berichtet, was geschehen ist. Als Bianca zum Füttern der Schafe das Stalltor geöffnet hat, ist das widerspenstige Vieh wieder einmal ausgebüxt; einfach an ihr vorbeigetrampelt und in selbstmörderischer Absicht auf die Straße gerannt. Wie schon zuvor hat es sich allen Einfangversuchen bockig widersetzt.
Da entsann sich Bianca der erfolgreichen Methode Gudruns und holte eilig Linus aus der Einkehr , wo ich ihn vor der Fahrt nach St. Vith am Morgen abgegeben hatte.
Diesmal aber reagierten sowohl Linus als auch das Schaf kontraproduktiv. Angesichts des bellenden Hundes geriet das Wollbündel in Panik und stieb davon. Linus jagte hinterher, holte das Schaf vor unserem kleinen Friedhof ein, warf sich über das arme Tier …
»Und dann?«, frage ich atemlos.
»Dann war plötzlich Herr Tillmanns da«, fährt Gudrun fort. »Er riss Linus runter, sagte ihm ordentlich die Meinung und brachte ihn zu uns rüber. Deswegen haben wir ihn auch zum Essen eingeladen.« Sie wirft mir einen schiefen Blick zu. »Das kalte Lamm von gestern wollte er nicht; er hat seit Tagen von Bratkartoffeln geträumt.«
»Und das Schaf?«
»Ist nicht kaputt, keine Sorge. War aber so geschockt, dass ich es mühelos zum Stall zurückbringen konnte. Wenn Herr Tillmanns nicht gewesen wäre, hätten wir jetzt die Kühltruhe frei räumen müssen. Und einen Haufen anstrengender Extraarbeit gehabt.«
»Dann ist doch alles gut. Warum heulst du so?«, frage ich Bianca.
Sie wendet mir ihr tränenüberströmtes Gesicht zu.
»Weil ich das alles nicht kann. Weil das alles hier zu viel für mich ist. Weil das mit den Schafen genauso ist wie früher mit meinem Pferd. Mit meinen Hühnern. Den Gänsen. Und mit meinem Mann. Der wollte keine Kinder, weil die bei mir glatt verkommen würden, hat er gesagt. Er hat ja so recht. Alles mache ich mit allen immer falsch. Ich bin dumm, nutzlos und kann rein gar nichts.«
»Quatsch«, sagt Gudrun, hebt ein Glas vom Tisch und beginnt es ordentlich zu wienern. »Du bist eine ganz tolle Bedienung. Du tust dein Bestes, Bianca, du hast ein gutes Herz und sonst immer gute Laune. Alle mögen dich. Das ist eine ganze Menge. Alles andere wirst du schon noch lernen, du bist ja nicht doof.«
Die verbale Eifeler Umarmung tut Bianca sichtlich wohl. Sie schnäuzt sich kräftig und bedankt sich bei dem Fremden für sein beherztes Einschreiten.
»Wo kommt Herr Tillmanns denn so plötzlich her?«, frage ich misstrauisch.
»Aus Remscheid«, antwortet der rotgesichtige, etwa vierzigjährige Mann, der es
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