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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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schon einiges bloßlag. Und dann ist es mit der Evolution, der Aufspaltung der Arten dermaßen vorangegangen, daß nach bloßen zweihundertfünfzig weiteren Jahrmillionen die ganze Arche Noah einschließlich der Reptilien da war, – nur die Vögel und Säugetiere standen noch aus. Und das alles vermöge der einen Idee, die die Natur in anfänglichen Zeiten faßte und mit der zu arbeiten sie bis hin zum Menschen nicht abgelassen hat –« »Ich bitte recht sehr, mir dieselbe zu nennen!«
    »Oh, es ist nur die Idee des Zellenzusammenlebens, nur der Einfall, das glasig-schleimige Klümpchen des Urwesens, des Elementarorganismus nicht allein zu lassen, sondern, anfangs aus wenigen davon, dann aus Abermillionen, übergeordnete Lebensgebilde, Vielzeller, Großindividuen herzustellen, sie Fleisch und Blut bilden zu lassen. Was wir das ›Fleisch‹ nennen und was die Religion als schwach und sündig, als ›der Sünde bloß‹, mißbilligt, ist ja nichts als solche Ansammlung organisch spezialisierter Kleinindividuen, Vielzelligkeitsgewebe. Mit wahrem Eifer hat die Natur diese ihre eine, ihr teuere Grundidee verfolgt – mit Übereifer zuweilen –, ein paarmal hat sie sich dabei zu Ausschweifungen hinreißen lassen, die sie reuten. Tatsächlich hielt sie schon bei den Säugetieren, als sie noch eine Wucherung von Leben zuließ wie den Blauwal, groß wie zwanzig Elefanten, ein Monstrum, auf Erden gar nicht zu halten und zu ernähren, – sie schickte es ins Meer, wo es nun als riesige Trantonne, mit zurückgebildeten Hinterbeinen, Flossen und Ölaugen, seiner Daseinsmasse zu mäßiger Freude, Jagdwild der Fettindustrie, in unbequemer Lage seine Jungen säugt und Krebschen schlingt. Aber viel früher schon, anfangs des Mittelalters der Erde, Triasformation, lange bevor ein Vogel sich in die Lüfte schwang oder ein Laubbaum grünte, finden wir Ungeheuer, Reptile, die Dinosaurier, – Burschen von einer Raumbeanspruchung, wie sie hienieden nicht schicklich ist. So ein Individuum war hoch wie ein Saal und lang wie ein Eisenbahnzug, es wog vierzigtausend Pfund. Sein Hals war wie eine Palme und der Kopf im Verhältnis zum Ganzen lächerlich klein. Dieses übermäßige Körpergewächs muß strohdumm gewesen sein. Übrigens gutmütig, wie die Unbehilflichkeit es mit sich bringt …«
    »Also wohl nicht sehr sündig, trotz so vielem Fleisch.«
    »Aus Dummheit wohl nicht. – Was soll ich Ihnen noch von den Dinosauriern sagen? Vielleicht dies: sie hatten eine Neigung zum Aufrechtgehen.«
    Und Kuckuck richtete seine Sternenaugen auf mich, unter deren Blick etwas wie Verlegenheit mich überkam.
    »Nun«, sagte ich mit gemachter Nonchalance, »dem
Hermes werden diese Herrschaften wenig geglichen haben
beim Aufrechtgehen.«
»Wie kommen Sie auf Hermes?«
    »Verzeihung, bei meiner Erziehung auf dem Schloß wurde aufs Mythologische immer viel Wert gelegt. Eine persönliche Liebhaberei meines Hauslehrers …« »Oh, Hermes«, erwiderte er. »Eine elegante Gottheit. – Ich nehme keinen Kaffee«, sagte er zum Kellner. »Geben Sie mir auch eine Flasche Vichy! – Ein eleganter Gott«, wiederholte er. »Und maßvoll als Gebilde, nicht zu klein, nicht zu groß, von Menschenmaß. Ein alter Bau meister pflegte zu sagen, daß, wer bauen wollte, zuerst die Vollkommenheit der menschlichen Figur erkannt haben müsse, denn in dieser seien die tiefsten Geheimnisse der Proportion verborgen. Mystiker der Verhältnismäßigkeit wollen wissen, daß der Mensch – und also der menschengestaltige Gott – nach seinem Wuchs die genaue Mitte halte zwischen der Welt des ganz Großen und der des ganz Kleinen. Sie sagen, der größte materielle Körper im All, ein roter Riesenstern, sei ebensoviel größer als der Mensch, wie der winzigste Bestandteil des Atoms, ein Etwas, das man um hundert Billionen im Durchmesser vergrößern müßte um es sichtbar zu machen, kleiner ist als er.«
       »Da sieht man, was es hilft, aufrecht zu gehen, wenn man das Wohlmaß nicht hält.«
       »Sehr anschlägig nach allem, was man hört«, fuhr mein Tischgenosse fort, »soll er gewesen sein, Ihr Hermes, in seiner griechischen Proportioniertheit. Das Zellengewebe seines Gehirns, wenn man bei einem Gott davon sprechen darf, muß also besonders pfiffige Formen angenommen haben. Aber eben: stellt man ihn sich nicht aus Marmor, Gips oder Ambrosia vor, sondern als lebendigen Leib von menschenförmigem Bau, so ist doch auch bei ihm viel Natur-Altertum rückständig. Es ist ja

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