Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
bemerkenswert, wie urtümlich, im Gegensatz zum Gehirn, Arme und Beine des Menschen geblieben sind. Sie haben alle Knochen bewahrt, die man schon bei den primitivsten Landtieren findet.«
»Das ist packend, Herr Professor. Es ist nicht die erste packende Mitteilung, die Sie mir machen, aber sie gehört zu den packendsten. Die Knochen der menschlichen Arme und Beine wie bei den urtümlichsten Landtieren! Nicht daß ich mich daran stieße, aber es packt mich. Ich rede nicht von den berühmten Hermesbeinen. Aber nehmen Sie einen reizenden vollschlanken Frauenarm, wie er uns, wenn wir Glück haben, wohl umschließt, – zum Kuckuck – pardon, ich wollte keinen Mißbrauch – aber man sollte nicht denken –«
»Es scheint mir, lieber Marquis, ein gewisser Extremitätenkult bei Ihnen vorzuliegen. Er hat seinen guten Sinn als Abneigung eines entwickelten Wesens gegen die fußlose Wurmform. Was aber den vollschlanken Frauenarm angeht, so sollte man bei dieser Gliedmaße sich gegenwärtig halten, daß sie nichts anderes ist als der Krallenflügel des Urvogels und die Brustflosse des Fisches.«
»Gut, gut, ich werde in Zukunft daran denken. Ich glaube versichern zu können, daß ich es ohne Bitterkeit, ohne Ernüchterung, vielmehr mit Herzlichkeit tun werde. Aber der Mensch, so hört man immer sagen, stammt doch vom Affen ab?«
»Lieber Marquis, sagen wir lieber: er stammt aus der Natur und hat seine Wurzel in ihr. Von der Ähnlichkeit seiner Anatomie mit der der höheren Affen sollten wir uns vielleicht nicht zu sehr blenden lassen, man hat gar zuviel Aufhebens davon gemacht. Die bewimperten Blauäuglein und die Haut des Schweines haben vom Menschlichen mehr als irgendein Schimpanse, – wie ja denn auch der nackte Körper des Menschen sehr oft an das Schwein erinnert. Unserm Gehirn aber, nach dem Hochstande seines Baus, kommt das der Ratte am nächsten. Anklänge ans Tier-Physiognomische finden Sie unter Menschen auf Schritt und Tritt. Sie sehen da den Fisch und den Fuchs, den Hund, den Seehund, den Habicht und den Hammel. Andererseits will alles Tierische uns, ist uns nur der Blick dafür aufgetan, als Larve und schwermütige Verzauberung des Menschlichen erscheinen … O doch, Mensch und Tier, die sind verwandt genug! Wollen wir aber von Abstammung reden, so stammt der Mensch vom Tier ungefähr, wie das Organische aus dem Unorganischen stammt. Es kam etwas hinzu.«
»Hinzu? Was, wenn ich fragen darf?«
»Ungefähr das, was hinzukam, als aus dem Nichts das Sein entsprang. Haben Sie je von Urzeugung gehört?«
»Mir liegt außerordentlich daran, von derselben zu hören.«
Er blickte sich flüchtig um und eröffnete mir dann mit einer gewissen Vertraulichkeit – offenbar nur, weil ich es war, der Marquis de Venosta:
»Es hat nicht eine, sondern drei Urzeugungen gegeben: Das Entspringen des Seins aus dem Nichts, die Erweckung des Lebens aus dem Sein und die Geburt des Menschen.«
Kuckuck nahm einen Zug Vichy nach dieser Äußerung. Er hielt das Glas dabei in beiden Händen, da wir in einer Kurve schlenkerten. Die Besetzung des Speisewagens hatte sich schon gelichtet. Die Kellner standen meist müßig. Nach einer vernachlässigten Mahlzeit nahm ich jetzt ein übers andere Mal Kaffee, schreibe aber nicht diesem Umstande allein die immer wachsende Aufregung zu, die mich beherrschte. Vorgebeugt saß ich und hörte dem kuriosen Reisegefährten zu, der mir vom Sein sprach, vom Leben, vom Menschen – und vom Nichts, aus dem alles gezeugt sei und in das alles zurückkehren werde. Ohne Zweifel, sagte er, sei nicht nur das Leben auf Erden eine verhältnismäßig rasch vorübergehende Episode, das Sein sei selbst eine solche – zwische n Nichts und Nichts. Es habe das Sein nicht immer gegeben und werde es nicht immer geben. Es habe einen Anfang gehabt und werde ein Ende haben, mit ihm aber Raum und Zeit, denn die seien nur durch das Sein und durch dieses aneinander gebunden. Raum, sagte er, sei nichts weiter als die Ordnung oder Beziehung materieller Dinge untereinander. Ohne Dinge, die ihn einnähmen, gäbe es keinen Raum und auch keine Zeit, denn Zeit sei nur eine durch das Vorhandensein von Körpern ermöglichte Ordnung von Ereignissen, das Produkt der Bewegung, von Ursache und Wirkung, deren Abfolge der Zeit Richtung verleihe, ohne welche es Zeit nicht gebe. Raum- und Zeitlosigkeit aber, das sei die Bestimmung des Nichts. Dieses sei ausdehnungslos in jedem Sinn, stehende
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