Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Ewigkeit, und nur vorübergehend sei es unterbrochen worden durch das raumzeitliche Sein. Mehr Frist, um Äonen mehr, sei dem Sein gegeben als dem Leben; aber einmal, mit Sicherheit, werde es enden, und mit ebensoviel Sicherheit entspreche dem Ende ein Anfang. Wann habe die Zeit, das Geschehen begonnen? Wann sei die erste Zuckung des Seins aus dem Nichts gesprungen kraft eines ›Es werde‹, das mit unweigerlicher Notwendigkeit bereits das ›Es vergehe‹ in sich geschlossen habe? Vielleicht sei das ›Wann‹ des Werdens nicht gar so lange her, das ›Wann‹ des Vergehens nicht gar so lange hin – nur einige Billionen Jahre her und hin vielleicht … Unterdessen feiere das Sein sein tumultuöses Fest in den unermeßlichen Räumen, die sein Werk seien und in denen es Entfernungen bilde, die von eisiger Leere starrten. Und er sprach mir von dem Riesenschauplatz dieses Festes, dem Weltall, diesem sterblichen Kinde des ewigen Nichts, angefüllt mit materiellen Körpern ohne Zahl, Meteoren, Monden, Kometen, Nebeln, Abermillionen von Sternen, die aufeinander bezogen, zueinander geordnet waren durch die Wirksamkeit ihrer Gravitationsfelder zu Haufen, Wolken, Milchstraßen und Übersystemen von Milchstraßen, deren jede aus Unmengen flammender Sonnen, drehend umlaufender Planeten, Massen verdünnten Gases und kalten Trümmerfeldern von Eisen, Stein und kosmischem Staube bestehe …
Erregt lauschte ich dem, wohl wissend, daß es ein Vorzug war, diese Mitteilungen zu empfangen: ein Vorzug, den ich meiner Vornehmheit verdankte, dem Umstande, daß ich der Marquis de Venosta war und in Rom eine Contessa Centurione zur Tante hatte.
Unsere Milchstraße, vernahm ich, eine unter Billionen, schließe beinahe an ihrem Rande, beinahe als Mauerblümchen, dreißigtausend Jahreslichtläufe von ihrer Mitte entfernt, unser lokales Sonnensystem ein, mit seinem riesigen, vergleichsweise aber keineswegs bedeutenden Glutball, genannt ›die‹ Sonne, obwohl sie nur den unbestimmten Artikel verdiene, und den ihrem Anziehungsfeld huldigenden Planeten, darunter die Erde, deren Lust und Last es sei, sich mit der Geschwindigkeit von tausend Meilen die Stunde um ihre Achse zu wälzen und, in der Sekunde zwanzig Meilen zurücklegend, die Sonne zu umkreisen, wodurch sie ihre Tage und Jahre bilde, – die ihren wohlgemerkt, denn es gebe ganz andere. Der Planet Merkur etwa, der Sonne am nächsten, vollende seinen Rundlauf in achtundachtzig unserer Tage und drehe sich eben dabei auch einmal um sich selbst, so daß für ihn Jahr und Tag dasselbe seien. Da sehe man, was es auf sich habe mit der Zeit, – nicht mehr als mit dem Gewicht, dem ebenfalls jede Allgemeingültigkeit abgehe. Beim weißen Begleiter des Sirius zum Beispiel, einem Körper nur dreimal größer als die Erde, befinde sich die Materie im Zustande solcher Dichtigkeit, daß ein Kubikzoll davon bei uns eine Tonne wiegen würde. Erdenstoff, unsere Felsengebirge, unser Menschenleib gar seien lockerster, leichtester Schaum dagegen.
Während die Erde, so hatte ich den Vorzug zu hören, sich um ihre Sonne tummele, tummelten sie und ihr Mond sich um einander herum, wobei unser ganzes örtliches Sonnensystem sich im Rahmen einer etwas weiteren, immer noch sehr örtlichen Sternenzusammengehörigkeit Bewegung mache, und zwar keine säumige, – nicht ohne daß dieses Bezugssystem wieder, mit krasser Geschwindigkeit, sich innerhalb der Milchstraße tummele, diese aber, unsere Milchstraße, in Bezug auf ihre entfernten Schwestern mit ebenfalls unausdenkbarer Schnelle dahintreibe, wo doch, zu dem allen, diese fernsten materiellen Seinskomplexe so hurtig, daß der Flug eines Granatsplitters, verglichen mit ihrer Fahrt, nichts weiter als Stillstand sei, nach allen Richtungen auseinanderstöben, ins Nichts, wohinein sie im Sturme Raum trügen und Zeit.
Dies Ineinander- und Umeinanderkreisen und Wirbeln, dieses Sichballen von Nebeln zu Körpern, dies Brennen, Flammen, Erkalten, Zerplatzen, Zerstäuben, Stürzen und Jagen, erzeugt aus dem Nichts und das Nichts erweckend, das vielleicht besser, lieber vielleicht im Schlaf geblieben wäre und auf seinen Schlaf wieder warte, – es sei das Sein, auch Natur genannt, und es sei eines überall und in allem. Ich möge nicht zweifeln, daß alles Sein, daß die Natur eine geschlossene Einheit bilde, vom einfachsten leblosen Stoff bis zum lebendigsten Leben, zur Frau mit dem vollschlanken Arm und zur Hermesgestalt. Unser Menschenhirn, unser Leib
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