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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Sie als Künstler interessieren, daß wir Spezialisten beschäftigen, Meister in ihrer Art, die nach den
    Skelettfunden all die vergangenen Tierformen höchst
anschaulich und lebensvoll rekonstruieren, wie auch den
Menschen von einst.«
»Den Menschen!«
»Wie auch den Menschen.«
»Den Menschen des Eozäns?«
    »Das wird ihn schwerlich gekannt haben. Wir müssen gestehen, sein Andenken verliert sich ein wenig im Dunkeln. Daß seine Ausbildung sich spät, erst im Rahmen der Entwicklung der Säugetiere vollzogen hat, liegt wissenschaftlich auf der Hand. Er ist, wie wir ihn kennen, ein Spätkömmling dahier, und die biblische Genesis hat vollkommen recht, in ihm die Schöpfung gipfeln zu lassen. Nur kürzt sie den Prozeß ein wenig drastisch ab. Das organische Leben auf Erden ist schlecht gerechnet fünfhundertfünfzig Millionen Jahre alt. Bis zum Menschen hat es sich Zeit genommen.«
    »Sie sehen mich außerordentlich gepackt durch Ihre Angaben, Herr Professor.«
    Ich war es. Ich war außerordentlich gepackt – schon jetzt, und dann in immer wachsendem Maß. Mit so gespannter, mein Innerstes erfüllender Anteilnahme hörte ich diesem Manne zu, daß ich fast ganz das Essen darüber vergaß. Man bot mir die Schüsseln, und ich nahm davon auf meinen Teller, führte auch wohl einen Bissen zum Munde, hielt aber dann die Kiefer still, um seinen Worten zu lauschen, indem ich, Gabel und Messer untätig in Händen, in sein Gesicht, seine Sternenaugen blickte. Ich kann die Aufmerksamkeit nicht nennen, mit der meine Seele das, was er in der Folge noch sagte, in sich sog. Aber wäre ich ohne sie, ohne diese Inständigkeit der Aufnahme, wohl heute, nach so vielen Jahren, imstande, dieses Tischgespräch wenigstens in seinen Hauptpunkten fast wörtlich, ich glaube: ganz wörtlich wiederzugeben? Er hatte von Neugier, einer Neubegier gesprochen, die den wesentlichen Bestandteil der Reiselust bilde, und schon darin hatte, so erinnerte ich mich, etwas eigentümlich Herausforderndes, ins Gefühl Dringendes gelegen. Gerade diese Art von Provokation und Berührung heimlichster Fibern sollte sich im Verlauf seiner Reden und Auskünfte bis zur berauschenden Unermeßlichkeit des Reizes steigern, obgleich er ständig sehr ruhig, kühl, gemessen, zuweilen mit einem Lächeln auf den Lippen sprach … »Ob ihm noch eine ebenso lange Frist bevorsteht, dem Leben«, fuhr er fort, »wie die, die hinter ihm liegt, kann niemand sagen. Seine Zähigkeit ist freilich enorm, besonders in seinen untersten Formen. Wollen Sie glauben, daß die Sporen gewisser Bakterien die unbehagliche Temperatur des Weltraums, minus zweihundert Grad, volle sechs Monate aushalten, ohne zugrunde zu gehen?« »Das ist bewundernswert.«
    »Und doch sind Entstehung und Bestand des Lebens an bestimmte, knapp umschriebene Bedingungen gebunden, die ihm nicht allezeit geboten waren, noch allezeit geboten sein werden. Die Zeit der Bewohnbarkeit eines Sternes ist begrenzt. Es hat das Leben nicht immer gegeben und wird es nicht immer geben. Das Leben ist eine Episode, und zwar, im Maßstabe der Äonen, eine sehr flüchtige.«
       »Das nimmt mich ein für dasselbe«, sagte ich. Das Wort »dasselbe« gebrauchte ich aus purer Erregung und weil mir daran lag, mich über den Gegenstand formell und buchdeutsch auszudrücken. »Es gibt da«, setzte ich hinzu, »ein Liedchen: ›Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht.‹ Ich habe es früh erklingen hören und immer gern gehabt, aber durch Ihre Worte von der ›flüchtigen Episode‹ nimmt es nun freilich eine ausgedehntere Bedeutung an.«
       »Und wie das Organische sich beeilt hat«, sprach Kukkuck weiter, »seine Arten und Formen zu entwickeln, gerade als ob es gewußt hätte, daß das Lämpchen nicht ewig glühen wird. Besonders gilt das für seine Frühzeit. Im Kambrium – so nennen wir die unterste Erdschicht, die tiefste Formation der paläozoischen Periode – steht es um die Pflanzenwelt freilich noch dürftig: Seetange, Algen, weiter kommt noch nichts vor, – das Leben stammt aus dem Salzwasser, dem warmen Urmeer, müssen Sie wissen. Aber das Tierreich ist da sofort nicht nur durch einzellige Urtiere, sondern durch Hohltiere, Würmer, Stachelhäuter, Gliederfüßler vertreten, das will sagen: durch sämtliche Stämme mit Ausnahme der Wirbeltiere. Es scheint, von den fünfhundertfünfzig Millionen Jahren hat es keine fünfzig gedauert, bis die ersten Vertebraten aus dem Wasser an Land gingen, von dem damals

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