Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
der Menschenwelt: auch hier sei immer alles versammelt, alle Zustände der Kultur und Moral, alles, vom Frühesten bis zum Spätesten, vom Dümmsten bis zum Gescheitesten, vom Urtümlichsten, Dumpfesten, Wildesten bis zum Höchst- und Feinstentwickelten bestehe allezeit nebeneinander in dieser Welt, ja oft werde das Feinste müd’ seiner selbst, vergaffe sich in das Urtümliche und sinke trunken ins Wilde zurück. Davon nichts weiter. Er werde aber dem Menschen das Seine geben und mir, dem Marquis de Venosta, nicht vorenthalten, was den Homo sapiens auszeichne vor aller andern Natur, der organischen und dem bloßen Sein, und was wahrscheinlich mit dem zusammenfalle, was ›hinzugekommen‹ sei, als er aus dem Tierischen trat. Es sei das Wissen von Anfang und Ende. Ich hätte das Menschlichste ausgesprochen mit dem Wort, es nähme mich ein für das Leben, daß es nur eine Episode sei. Fern davon nämlich, daß Vergänglichkeit entwerte, sei gerade sie es, die allem Dasein Wert, Würde und Liebenswürdigkeit verleihe. Nur das Episodische, nur was einen Anfang habe und ein Ende, sei interessant und errege Sympathie, beseelt wie es sei von Vergänglichkeit. So sei aber alles – das ganze kosmische Sein sei beseelt von Vergänglichkeit, und ewig, unbeseelt darum und unwert der Sympathie sei nur das Nichts, aus dem es hervorgerufen worden zu seiner Lust und Last.
Sein sei nicht Wohlsein; es sei Lust und Last, und alles raumzeitliche Sein, alle Materie habe teil, sei es auch im tiefsten Schlummer nur, an dieser Lust, dieser Last, an der Empfindung, welche den Menschen, den Träger der wachsten Empfindung, zur Allsympathie lade. – »Zur Allsympathie«, wiederholte Kuckuck, indem er sich mit den Händen auf die Tischplatte stützte, um aufzustehen, wobei er mich ansah mit seinen Sternenaugen und mir zunickte.
»Gute Nacht, Marquis de Venosta«, sagte er. »Wir sind, wie ich bemerke, die letzten im Speisewagen. Es ist Zeit, sich schlafen zu legen. Lassen Sie mich hoffen, Sie in Lisboa wiederzusehen! Wenn Sie wollen, so mache ich dort Ihren Führer durch mein Museum. Schlafen Sie wohl! Träumen Sie vom Sein und vom Leben! Träumen Sie vom Getümmel der Milchstraßen, die, da sie da sind, mit Lust die Last ihres Daseins tragen! Träumen Sie von dem vollschlanken Arm mit dem altertümlichen Knochengerüst und von der Blume des Feldes, die im Sonnenäther das Leblose zu spalten und ihrem Lebensleib einzuverwandeln
weiß! Und vergessen Sie nicht vom Steine zu träumen, vom moosigen Stein, der im Bergbach liegt seit tausend und tausend Jahren, gebadet, gekühlt, überspült von Schaum und Flut! Sehen Sie mit Sympathie seinem Dasein zu, das wachste Sein dem tiefst schlummernden, und begrüßen Sie ihn in der Schöpfung! Ihm ist wohl, wenn Sein und Wohlsein sich irgend vertragen. Recht gute Nacht!«
Sechstes Kapitel
M an wird es mir glauben, daß ungeachtet meiner angeborenen Liebe und Begabung zum Schlaf, entgegen der Leichtigkeit, mit der ich sonst in die süße und wiederherstellende Heimat des Unbewußten einzukehren pflegte, und trotz der Wohlaufgemachtheit meines Reisebettes erster Klasse, in dieser Nacht der Schlummer mich fast ganz, bis in die Morgenstunden hinein, floh. Was hatte ich auch vor Schlafengehen, der ersten Nacht entgegensehend, die ich in einem dahineilenden, schwankenden, stoßenden, bald haltenden, bald ruckweise wieder anfahrenden Zuge verbringen sollte, so viel Kaffee trinken müssen? Das hatte geheißen, mich mutwillig des Schlafs zu berauben, um den auch die mir neue gerüttelte Lage allein mich sonst nicht zu bringen vermocht hätte. Daß aber selbst sechs bis acht Täßchen Mokka von sich aus das nicht fertiggebracht hätten, wären sie nicht nur die unwillkürliche Begleithandlung gewesen zu Professor Kuckucks packender, mein Innerstes unsagbar ansprechender Tischunterhaltung, – das verschweige ich, ob ich es gleich damals so gut wußte, wie ich es heute weiß, – verschweige es, weil der feinfühlende Leser (und nur für solche lege ich meine Geständnisse ab) es sich selber sagen mag.
Kurz, in meinem seidenen Schlafanzug (ein solcher bewahrt die Person besser, als ein Hemd es vermag, vor der Berührung mit vielleicht nur flüchtig gereinigtem Bettzeug) lag ich wach diese Nacht bis in den Morgen, unter Seufzern nach einer Lage suchend, die mir geholfen hätte, in Morpheus’ Arme zu finden; und als ich schließlich dennoch unversehens vom Schlummer beschlichen wurde, träumte ich
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