Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
nicht zu flüchtig umzusehen, die Besorgnis eingab, ich hätte mir für den Aufenthalt an einem Ort von so großer Vergangenheit und so mannigfaltigen gegenwärtigen Sehenswürdigkeiten (ich nenne hier nur die eigentlich der Steinkohlenzeit angehörigen Baumfarne im Botanischen Garten) eine zu knappe Frist gesetzt.
Als Euere Güte und Weisheit, liebe Eltern, mir diese Reise verschrieben, legtet Ihr selbiger zweifellos nicht nur den Sinn einer Ablenkung von, ich gestehe es, grillenhaften Ideen bei, in die meine Unreife sich verfangen hatte, sondern auch den eines Bildungserlebnisses, wie es einem jungen Mann von Familie zur Vollendung seiner Erziehung so zukömmlich ist. Nun denn, zu dieser Bedeutung hat sich die Reise hier sogleich erhoben durch meinen freundschaftlichen Verkehr im Hause Kuckuck, dessen drei, beziehungsweise vier Mitglieder (denn ein wissenschaftlicher Assistent des Professors, Herr Hurtado, ein Dermoplastiker, wenn Euch dieses Wort etwas sagt, gehört gewissermaßen dazu) freilich zu jener Bedeutung in ungleichem Maße beitragen. Ich gestehe, daß ich mit den Damen des Hauses nicht viel anzufangen weiß. Die Beziehung zu ihnen hat sich in diesen Wochen nicht wahrhaft erwärmen wollen und würde das aller Voraussicht nach in noch so langer Zeit nicht tun. Die Senhora, eine geborene da Cruz und Ur-Ibererin, ist eine Frau von einschüchternder Strenge, ja Härte und einem zur Schau getragenen Hochmut, dessen Gründe wenigstens mir nicht ganz erfindlich sind; die Tochter, deren Alter etwas unter dem meinen liegen mag und deren Vornamen ich mir noch immer nicht habe merken können, ein Fräulein, das man versucht ist, dem Geschlecht der Stachelhäuter zuzuzählen, so spitzig ist ihr Gehaben. Übrigens ist, wenn meine Unerfahrenheit recht sieht, der oberwähnte Dom Miguel (Hurtado) wohl als ihr präsumtiver Verlobter und Gatte zu betrachten, wobei mir einige Zweifel bleiben, ob man ihn deswegen beneiden soll.
Nein, es ist der Hausherr, Professor K., an den ich mich halte, und allenfalls noch sein in der ganzen tierischen Formenwelt tief erfahrener Mitarbeiter, dessen rekonstruktivem Ingenium das Museum so viel verdankt. Von diesen beiden, namentlich aber, versteht sich, von K. persönlich gehen die meiner Bildung so förderlichen Eröffnungen und Belehrungen aus, die weit über die Anleitung zum Studium Lissabons und der architektonischen Kostbarkeiten seiner Umgebung hinausreichen und sich buchstäblich auf alles Sein mitsamt dem durch Urzeugung aus ihm hervorgegangenen organischen Leben, mithin vom Stein bis zum Menschen erstrecken. Um dieser beiden vorzüglichen Männer willen, die mit Recht in mir etwas wie eine vom Stengel gelöste Seelilie, will sagen: einen der Beratung bedürftigen Neuling der Beweglichkeit erblicken, ist mir die programmwidrige Verlängerung meines Aufenthaltes dahier, deren Billigung ich auch von Euch, liebe Eltern, aufs kindlichste erbitte, geradezu lieb und wert, obgleich es zu weit ginge, zu sagen, daß sie ihre Veranlasser gewesen wären.
Die äußere Veranlassung vielmehr war die folgende. Ich hielt es für nicht mehr als korrekt und glaubte in Euerem Sinne zu handeln, wenn ich die Stadt nicht wieder verließ, ohne bei unserem diplomatischen Vertreter, Herrn von Hüon, und seiner Gattin Karten abgegeben zu haben. Diese formelle Artigkeit ließ ich mir gleich am ersten Tage meines Hierseins angelegen sein und versah mich in Anbetracht der Jahreszeit weiter keiner Folgen. Gleichwohl erhielt ich wenige Tage später in meinem Hotel die Einladung zur Teilnahme an einem offenbar schon vor meinem Besuch anberaumten Herrenabend auf der Gesandtschaft, dessen Termin bereits recht knapp demjenigen meiner Einschiffung nahe lag. Immerhin bestand noch nicht die Notwendigkeit, diesen zu ändern, wenn ich mir den Wunsch erfüllen wollte, der Einladung zu folgen.
Ich tat es, liebe Eltern, und verbrachte in den Gesandtschaftsräumen der Rua Augusta einen sehr angenehmen Abend, den ich – um es Euerer Liebe nicht vorzuenthalten – als einen, natürlich Euerer Erziehung zu dankenden, persönlichen Erfolg verbuchen kann. Die Veranstaltung geschah zu Ehren des rumänischen Prinzen Joan Ferdinand, der, kaum älter als ich, mit seinem militärischen Gouverneur, Hauptmann Zamfiresku, eben in Lissabon weilt, und hatte den Charakter einer Herrengesellschaft aus dem Grunde, weil Frau von Hüon sich zur Zeit in einem Seebade an der Portugiesischen Riviera aufhält, während ihr
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