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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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auf mich genommen hatte; eine Art Trunkenheit, erzeugt durch die inbrünstige Vertiefung in meine Rolle, als Kranker, durch ein Spiel auf meiner eigenen Natur, das jeden Augenblick durchaus meisterhaft sein mußte, um nicht der Lächerlichkeit zu verfallen; eine gewisse Verzückung, die, zugleich Anspannung und Abspannung, erforderlich war, damit etwas Unwirkliches für mich und die anderen zur Wirklichkeit werde: diese Einflüsse brachten eine solche Erhöhung und Steigerung meines Wesens, meiner gesamten organischen Tätigkeit hervor, daß der Sanitätsrat sie tatsächlich von seinem Fieberthermometer ablesen konnte. Die Beschleunigung des Pulses erklärt sich ohne weiteres aus denselben Ursachen; ja, während der Kopf des Sanitätsrates an meiner Brust lag und ich den tierischen Geruch seines trockenen, eselgrauen Haares atmete, hatte ich es vollkommen in der Gewalt, durch plötzliche lebhafte Empfindungen meinem Herzschlag ein stockendes und stürzendes Zeitmaß zu geben. Und was endlich meinen Magen betrifft, den Doktor Düsing jedesmal, und welche Diagnose er auch stellen mochte, für angegriffen erklärte, so ist zu bemerken, daß dieses Organ bei mir seit jeher von überaus zarter Beschaffenheit und so erregbar war, daß es bei jeder Gemütsbewegung in ein Pulsieren und Pochen geriet, ja daß ich in außerordentlichen Lebenslagen nicht wie andere Leute von Herzklopfen, sondern von Magenklopfen zu reden habe. Dies Phänomen beobachtete der Sanitätsrat, und es verfehlte nicht seinen Eindruck auf ihn.
       So verschrieb er mir denn seine säuerlichen Tabletten oder seinen bittersüßen Stärkungswein und blieb dann noch eine Weile mit meiner Mutter schwatzend und klatschend an meinem Bette sitzen, während ich, kurz, durch die schlaffen Lippen atmend, mit erloschenen und mühsamen Augen zur Decke emporblickte. Auch mein Vater gesellte sich dann wohl hinzu, sah mit verlegenem Ausdruck über mich hin, indem er meinen Blick mied, und benutzte die Gelegenheit, den Sanitätsrat wegen seiner Gicht zu Rate zu ziehen. Allein gelassen, verbrachte ich den Tag – und etwa noch ein paar folgende – bei spärlicher Kost, die mir jedoch nur desto besser mundete, in Frieden und Freiheit, unter süßen Träumereien von Welt
und Zukunft. Wenn aber Schleimsuppe und Zwieback meinem jugendlichen Appetit nicht genügten, so verließ ich behutsam mein Bett, öffnete geräuschlos den Deckel meines kleinen Schreibpultes und hielt mich schadlos an der Schokolade, die dort fast immer in einem ansehnlichen Vorrat lagerte.

    Siebentes Kapitel

    W oher hatte ich sie? Sie war auf besondere, ja phan  tastische Weise in meinen Besitz übergegangen. Drunten im Städtchen nämlich, an einer Ecke der vergleichsweise belebtesten Geschäftsstraße, war ein nett und anziehend ausgestatteter Delikatessenladen gelegen, Zweigniederlassung einer Wiesbadener Firma, wenn ich nicht irre, und den höheren Gesellschaftsschichten als Einkaufsquelle dienend. Täglich führte mich mein Schulweg an dieser appetitlichen Stätte vorüber, und mehrmals bereits hatte ich sie, ein Nickelstück in der Hand, betreten, um nach meinem Vermögen etwas billige Süßigkeit, einige Frucht- oder Malzbonbons zum Privatgebrauch zu erstehen. Eines Mittags jedoch fand ich den Laden leer, und zwar leer nicht nur von Besuchern, sondern auch von jedem bedienenden Personal. Die Glocke über der Eingangstür, eine gewöhnliche Schelle, die beim Öffnen und Schließen von dem Zahn einer kurzen Metallstange erfaßt und geschüttelt wurde, hatte angeschlagen; aber sei es, daß man ihren Klang in dem rückwärtigs befindlichen Gelaß, hinter der Glastür, deren Scheiben mit grünem, gefälteltem Stoff verkleidet waren, überhört hatte oder daß auch dort sich im Augenblick niemand befand: ich war und blieb allein. Überrascht, befremdet und träumerisch angemutet von der mich umgebenden Einsamkeit und Stille, blickte ich mich um. Nie hatte ich so frei und ungestört diesen schwelgerischen Ort betrachten können. Er war eher eng als umfangreich, aber beträchtlich hoch bis oben hinauf mit Leckerbissen vollgepfropft. Dichte Reihen von Schinken und Würsten, letztere in allen Farben und Formen, weiße, ockergelbe, rote und schwarze, solche, die prall und rund waren wie Kugeln, sowie lange, knotige, strickartige, verdunkelten das Gewölbe. Blechbüchsen und Konserven, Kakao und Tee, bunte Gläser mit Marmeladen, Honig und Eingemachtem, schlanke und bauchige Flaschen mit

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