Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
denkt als allenfalls bis zum Kuß, weil mir in meiner Unwirklichkeit ja nicht erlaubt war, es mit der Wirklichkeit aufzunehmen und etwa um Zouzou zu freien. Höchstens hätte ich mir zum Ziel setzen können, sie zu verführen, aber dem legten nicht nur die Umstände größte Schwierigkeiten in den Weg, sondern es tat das auch ihre fabelhaft direkte und übertrieben sachliche Meinung von der lächerlichen Unanständigkeit der Liebe. Man höre nur, wenn auch mit Trauer, wie sie der Poesie, die ich zu Hilfe rief, weiter begegnete!
»Patatípatatá!« machte sie. »Umsponnen und verwoben und der liebliche Blumenkuß! Alles nur Süßholzgeraspel, um uns in euere Bubenlasterhaftigkeit hineinzuschwatzen! Pfui, der Kuß, der gar zarte Austausch! Er macht den Anfang, den rechten Anfang, mais oui, denn eigentlich ist er das Ganze schon, toute la lyre, und gleich das Schlimmste davon, denn warum? Weil es die Haut ist, was euere Liebe im Sinn hat, des Körpers bloße Haut, und die Haut der Lippen ist allerdings zart, dahinter ist gleich das Blut, so zart ist sie, und daher das poetische Sichfinden der Lippenpaare – die wollen auch sonst überallhin in ihrer Zartheit, und worauf ihr aus seid, das ist, mit uns zu liegen nackt, Haut an Haut, und uns das absurde Vergnügen zu lehren, wie ein armer Mensch des anderen dunstige Oberfläche abkostet mit Lippen und Händen, ohne daß sie sich schämten der kläglichen Lächerlichkeit ihres Treibens und dabei bedächten, was ihnen gleich das Spiel verdürbe und was ich einmal als Verschen gelesen habe in einem geistlichen Buch:
Der Mensch, wie schön er sei, wie schmuck und blank,
Ist innen doch Gekrös’ nur und Gestank.«
»Das ist ein garstiges Verschen, Zouzou«, versetzte ich mit würdig mißbilligendem Kopfschütteln, »garstig, so geistlich es sich gebe. Ich lasse mir all Ihre Krudität gefallen, aber das Verschen, mit dem Sie mir da kommen, ist himmelschreiend. Warum, wollen Sie wissen? Doch, doch, ich nehme mit Bestimmtheit an, daß Sie das wissen wollen und bin auch bereit, es Ihnen zu sagen. Weil dies tückische Verschen den Glauben zerstören will an Schönheit, Form, Bild und Traum, an jedwede Erscheinung, die natürlich, wie es im Worte liegt, Schein und Traum ist, aber wo bliebe das Leben und jegliche Freude, ohne die ja kein Leben ist, wenn der Schein nichts mehr gälte und die Sinnenweide der Oberfläche? Ich will Ihnen etwas sagen, reizende Zouzou: Ihr geistliches Verschen ist sündhafter als die sündlichste Fleischeslust, denn es ist spielverderberisch, und dem Leben das Spiel zu verderben, das ist nicht bloß sündlich, es ist rund und nett teuflisch. Was sagen Sie nun? Nein, bitte, ich frage nicht so, damit Sie mich unterbrechen. Ich habe Sie auch reden lassen, so krude Sie’s taten, ich aber rede edel, und es strömt mir zu! Ginge es nach dem durch und durch maliziösen Verschen, dann wäre achtbar und nicht bloß scheinbar höchstens die leblose Welt, das anorganische Sein – ich sage: höchstens, denn wenn man’s boshaft bedenkt, so hat es auch mit dessen Solidität seinen Haken, und ob Alpenglühen und Wasserfall so besonders achtbar sind, mehr als Bild und Traum, so wahr wie schön, will sagen: schön in sich selbst, ohne uns, ohne Liebe und Bewunderung, das läßt sich bezweifeln am Ende auch. Nun ist denn vor einiger Zeit aus dem leblosen, unorganischen Sein durch Urzeugung, um die es an und für sich schon eine dunkle Sache ist, das organische Leben hervorgegangen, und daß es damit innerlich nicht zum saubersten steht noch zugeht, das versteht sich von vornherein. Ein Kauz könnte ja sagen, die ganze Natur sei nichts als Fäulnis und Schimmel auf dieser Erde, aber das ist nur eine bissige, kauzige Anmerkung und wird bis ans Ende der Tage die Liebe und Freude nicht umbringen, die Freude am Bilde. Es war ein Maler, den ich es sagen hörte, und er malte den Schimmel in aller Ergebenheit und nannte sich Professor dafür. Die Menschengestalt hat er sich auch Modell stehen lassen, zum Griechengott. In Paris, im Wartezimmer eines Zahnarztes, von dem ich mir einmal eine kleine Goldplombe machen ließ, habe ich ein Album gesehen, ein Bilderbuch mit dem Titel ›La beauté humaine‹, das wimmelte von Ansichten all der Darstellungen des schönen Menschenbildes, die zu allen Zeiten mit Lust und Fleiß verfertigt worden sind in Farbe, Erz und Marmelstein. Und warum wimmelte es so von diesen Verherrlichungen? Weil es allezeit auf Erden
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