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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Haut, nicht nur, weil er muß, sondern weil er es nicht anders will. Er will so abgesondert sein, wie er ist, will allein sein und will vom anderen im Grunde nichts wissen. Der andere, jeder andere in seiner Haut, ist ihm recht eigentlich widerlich, und nicht widerlich ist ihm ausschließlich und ganz allein die eigene Person. Das ist Naturgesetz, ich sage es, wie es ist. Sitzt er nachdenkend am Tisch, stützt den Ellbogen auf und den Kopf in die Hand, so legt er wohl ein paar Finger an die Wange und einen zwischen die Lippen. Gut, es ist sein Finger und sind seine Lippen, und also was weiter? Aber den Finger eines anderen zwischen den Lippen zu haben, wäre ihm unausstehlich, es würde ihm schlechthin zum Ekel gereichen. Oder nicht? Auf Ekel läuft überhaupt grundsätzlich und von Natur sein Verhältnis zum anderen hinaus. Dessen leibliche Nähe, wird sie allzu bedrängend, ist ihm fatal aufs äußerste. Er würde lieber ersticken, als der Nähe fremder Leiblichkeit seine Sinne zu öffnen. Es nimmt darauf unwillkürlich auch jeder Rücksicht in seiner Haut und schont nur die Empfindlichkeit seiner eigenen Sonderung, indem er die des anderen schont. Gut. Oder jedenfalls wahr. Ich habe mit diesen Worten die natürliche und gemeingültige Sachlage skizzenhaft, aber zutreffend umrissen und mache in der Rede, die ich eigens für Sie vorbereitet habe, einen Abschnitt. Denn nun tritt etwas ein, womit die Natur von dieser ihrer Grundveranstaltung dermaßen überraschend abweicht, etwas, wodurch das ganze ekle Bestehen des Menschen auf Sonderung und Alleinsein mit seiner Leiblichkeit, das eherne Gesetz, daß jeder ausschließlich sich selbst nicht widerlich ist, so völlig und wundersam aufgehoben werden, daß einem, der sich die Mühe nimmt, es zum ersten Male zu sehen – und es ist geradezu Pflicht, das zu tun –, vor Staunen und Rührung die Zähre rinnen kann. Ich sage ›Zähre‹ und übrigens auch ›rinnen‹, weil es poetisch und also der Sache angemessen ist. ›Träne‹ ist mir zu ordinär in diesem Zusammenhang. Tränen vergießt das Auge auch, wenn ein Körnchen Kohlenstaub hineingeflogen ist. Aber ›Zähre‹, das ist etwas Höheres. Sie müssen entschuldigen, Zouzou, wenn ich in der für Sie vorbereiteten Rede dann und wann pausiere und sozusagen einen neuen Paragraphen beginne. Ich schweife leicht ab, wie hier anläßlich der rinnenden Zähre, und muß mich immer aufs neue sammeln zu der Aufgabe, Ihnen den Kopf zurechtzusetzen. Also denn nun! Welche Abweichung der Natur von sich selbst ist das, und was ist es, was zum Staunen des Weltalls die Sonderung aufhebt zwischen einer Leiblichkeit und der anderen, zwischen Ich und Du? Es ist die Liebe. Eine alltägliche Sache, aber ewig neu und bei Lichte besehen nicht mehr und nicht weniger als unerhört. Was geschieht? Zwei Blicke treffen sich aus der Getrenntheit, wie sonst nie Blicke sich treffen. Erschrocken und weltvergessen, verwirrt und etwas von Scham getrübt über ihre völlige Verschiedenheit von allen anderen Blicken, aber von dieser Verschiedenheit durch nichts in der Welt abzubringen, sinken sie ineinander, – wenn Sie wollen, so sage ich: tauchen sie ineinander, aber ›tauchen‹ ist nicht nötig, ›sinken‹ ist ebenso gut. Ein wenig schlechtes Gewissen ist dabei, – worauf es sich bezieht, das lasse ich dahingestellt sein. Ich bin ein einfacher Edelmann, und niemand kann verlangen, daß ich die Weltgeheimnisse ergründe. Auf jeden Fall ist es das süßeste schlechte Gewissen, das überhaupt vorkommt, und mit ihm in den Augen und Herzen gehen die beiden plötzlich aus aller Ordnung Herausgehobenen unverwandt aufeinander zu. Sie sprechen zusammen in der gewöhnlichen Sprache über dies und jenes, aber sowohl dies wie jenes ist Lüge, ebenso auch die gewöhnliche Sprache, und darum sind ihre Münder beim Sprechen leicht lügenhaft verzogen und ihre Augen voll süßer Lüge. Der Eine blickt auf das Haar, die Lippen, die Glieder des Anderen, und dann schlagen sie rasch die verlogenen Augen nieder oder wenden sie ab irgendwohin in die Welt, wo sie nichts zu suchen haben und überhaupt nichts sehen, da beider Augen blind sind für all und jedes außer ihnen beiden. Dieselben verstecken sich auch nur in der Welt, um alsbald wieder desto glänzender zu den Haaren, den Lippen, den Gliedern des Anderen zurückzukehren, denn das alles hat gegen alle Üblichkeit aufgehört, etwas Fremdes und mehr als Gleichgültiges, nämlich Unangenehmes, ja

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