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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Widerwärtiges zu sein, weil es nicht des Einen, sondern des Anderen ist, und ist zum Gegenstand des Entzückens, der Begierde, des rührenden Verlangens nach Berührung geworden, – einer Wonne, von der die Augen so viel vorwegnehmen, vorwegstehlen, wie ihnen gegeben ist.
       Das ist ein Paragraph meiner Rede, Zouzou, ich mache einen Abschnitt. Sie hören mir gut zu? So, als ob Sie zum ersten Mal von der Liebe hörten? Ich will es hoffen. Nicht lange, so kommt denn auch der Augenblick, wo die enthobenen Leutchen der Lüge und des Gefackels mit dem und jenem und der verzogenen Münder zum Sterben satt sind, wo sie das alles abwerfen, als würfen sie schon ihre Kleider ab, und das einzig wahre Wort in der Welt, für sie das einzig wahre, sprechen, gegen das alles übrige nur vorgewendetes Geschwätz ist: das Wort ›Ich liebe dich‹. Es ist eine wahre Befreiung, die kühnste und süßeste, die es gibt, und damit sinken, man kann auch sagen: tauchen ihre Lippen ineinander zum Kuß, diesem so einzigartigen Geschehen in einer Welt der Getrenntheit und Vereinzelung, daß einem die Zähren kommen könnten. Ich bitte Sie, wie krude haben Sie vom Kusse gesprochen, der doch die Besiegelung ist der wunderbaren Aufhebung der Getrenntheit und des eklen Nichts-wissen-Wollens von allem, was einer nicht selbst ist! Ich gebe zu, ich gebe es zu mit der lebhaftesten Sympathie, daß er der Anfang ist von allem übrigen und weiteren, denn er ist die stumme, erstaunliche Aussage, daß Nähe, nächste Nähe, Nähe, so grenzenlos wie möglich, genau jene Nähe, die sonst lästig bis zum Ersticken war, zum Inbegriff alles Wünschenswerten geworden ist. Die Liebe, Zouzou, tut durch die Liebenden alles, sie tut und versucht das Äußerste, um die Nähe grenzenlos, um sie vollkommen zu machen, um sie bis zum wirklichen, völligen Einswerden von zweierlei Leben zu treiben, was ihr aber komischer- und traurigerweise bei aller Anstrengung niemals gelingt. Soweit überwindet sie nicht die Natur, die es, trotz ihrer Veranstaltung der Liebe, grundsätzlich doch mit der Getrenntheit hält. Daß aus Zweien Eins wird, das geschieht nicht mit den Liebenden, es geschieht allenfalls außer ihnen, als Drittes, mit dem Kinde, das aus ihren Anstrengungen hervorgeht. Aber ich spreche nicht von Kindersegen und Familienglück; das geht über mein Tema hinaus, und ich nehme es damit nicht auf. Ich spreche von der Liebe in neuen und edlen Worten und suche Ihnen neue Augen für sie zu machen, Zouzou, und Ihr Verständnis für ihre rührende Unerhörtheit zu wecken, damit Sie sich nicht noch einmal so krude darüber ergehen. Ich tue es paragraphenweise, weil ich nicht alles in einem Zuge sagen kann, und mache hier abermals einen Abschnitt, um in dem Folgenden folgendes noch zu bemerken:
       Die Liebe, liebe Zouzou, ist nicht nur in der Verliebtheit, worin erstaunlicherweise eine gesonderte Leiblichkeit aufhört, der anderen unangenehm zu sein. In zarten Spuren und Andeutungen ihres Daseins durchzieht sie die ganze Welt. Wenn sie an der Straßenecke dem schmutzigen Bettlerkind, das zu Ihnen aufblickt, nicht nur ein paar Centavos geben, sondern ihm auch mit der Hand, selbst wenn sie ohne Handschuh ist, übers Haar streichen, obgleich wahrscheinlich Läuse darin sind, und ihm dabei in die Augen lächeln, worauf Sie etwas glücklicher weitergehen, als Sie vorher waren, – was ist das anderes als die zarte Spur der Liebe? Ich will Ihnen etwas sagen, Zouzou: Dies Streichen Ihrer bloßen Hand über des Kindes Lausehaar, und daß Sie danach etwas glücklicher sind als zuvor, das ist vielleicht eine erstaunlichere Kundgebung der Liebe als die Liebkosung eines geliebten Leibes. Sehen Sie sich um in der Welt, sehen Sie den Menschen zu, als täten Sie es zum ersten Mal! Überall sehen Sie Spuren der Liebe, Andeutungen von ihr, Zugeständnisse an sie von Seiten der Getrenntheit und des Nichts-wissen-Wollens der einen Leiblichkeit von der anderen. Die Menschen geben einander die Hand, – das ist etwas sehr Gewöhnliches, Alltägliches und Konventionelles, niemand denkt sich etwas dabei, außer denen, die lieben, und die diese Berührung genießen, weil ihnen weitere noch nicht erlaubt sind. Die anderen tun es ohne Gefühl und ohne Gedanken daran, daß es die Liebe ist, die das Gang-und-Gäbe gestiftet hat; aber sie tun es. Ihre Körper wahren gemessenen Abstand – nur keine zu große Nähe, beileibe nicht! Aber über Abstand und streng behütetes Einzelleben hinweg

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