Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Armand es war, der uns gefahren hatte. Dies Zusammensein im Fahrstuhl war reich an Beziehungen.
    »Wer ist diese Dame?« fragte ich den Rothaarigen von rückwärts beim Weiterfahren.
    Lümmelhafterweise antwortete er überhaupt nicht. Trotzdem fügte ich beim Aussteigen im vierten Stock die Frage hinzu:
    »Sind Sie jener Armand, der heute abend quittiert?« »Das geht dich einen Dreck an«, grobiante er.
    »Etwas mehr als das«, erwiderte ich, »geht es mich doch an. Ich bin nämlich jetzt Armand. Ich trete in Ihre Fußtapfen. Ich bin Ihr Nachfolger, und ich gedenke eine weniger ungehobelte Figur abzugeben als Sie.« »Imbécile!« grüßte er mich, indem er mir das Türgatter vor der Nase zuriß. –
       Stanko schlief, als ich droben das Dortoir No. 4 wieder betrat. In aller Eile tat ich das Folgende: Ich nahm meinen Koffer vom Bort, trug ihn in den Waschraum, nahm das Kästchen heraus, das der ehrliche Stanko gottlob unangetastet gelassen, und nachdem ich mich meines Jacketts und meiner Weste entledigt, legte ich mir den reizenden Topasschmuck um den Hals und sicherte mit einiger Mühe seinen Druckfederverschluß im Nacken. Darüber dann legte ich jene Kleidungsstücke wieder an und stopfte die übrigen Kleinodien, die nicht soviel Platz einnahmen, besonders die Brillantkette, rechts und links in die Taschen. Dies vollbracht, versorgte ich den Koffer wieder an seinem Ort, hängte meine Livree in den Schrank neben der Tür auf dem Gange, legte Überjacke und Mütze an und lief – ich glaube, aus Abneigung, wieder mit Armand fahren zu müssen – alle fünf Treppen hin unter, um mich auf den Weg nach der Rue de l’Échelle au Ciel zu machen.
       Die Taschen voller Schätze, besaß ich doch die paar Sous nicht mehr, einen Omnibus nehmen zu können. Ich mußte laufen, und zwar unter Schwierigkeiten, denn es galt, sich zurechtzufragen, und außerdem litt meine Beschwingtheit bald unter der Schwere der Füße, die ein steigendes Terrain erzeugt. Es waren gewiß drei Viertelstunden, die ich brauchte, um den Friedhof Montmartre zu erreichen, dem mein Fragen gegolten hatte. Von da freilich fand ich, da Stanko’s Angaben sich als durchaus zuverlässig erwiesen, schnell meinen Weg durch die Rue Damrémont zum Nebengäßchen der ›Klugen Jungfrauen‹ und war, in dieses eingebogen, mit wenigen Schritten am Ziel.
       Eine Mammutsiedelung wie Paris setzt sich aus vielen Quartieren und Gemeinden zusammen, von denen die wenigsten die Majestät des Ganzen erraten lassen, dem sie zugehören. Hinter der Prachtfassade, die die Metropole dem Fremden zukehrt, hegt sie das Kleinbürgerlich-Kleinstädtische, das darin sein selbstgenügsames Wesen treibt. Von den Bewohnern der Straße ›Zur Himmelsleiter‹ hatte vielleicht so mancher in Jahr und Tag das Geglitzer der Avenue de l’Opéra, den Welttumult des Boulevard des Italiens nicht gesehen. Idyllische Provinz umgab mich. Auf dem schmalen, mit Katzenköpfen gepflasterten Fahrdamm spielten Kinder. An den friedlichen Trottoirs reihten sich schlichte Wohnhäuser, in deren Erdgeschossen hie und da ein Laden, ein Krämer-, ein Fleischer- oder Bäckergeschäft, eine Sattlerwerkstatt sich mit genügsamen Auslagen empfahl. Ein Uhrmacher mußte auch da sein. Nummer 92 war bald gefunden. »Pierre Jean-Pierre, Horloger« war an der Ladentür zu lesen, zur Seite des Schaufensters, das allerlei Zeitmesser, Taschenuhren von Herren- und Damenformat, blecherne Wecker und billige Kamin-Pendulen zeigte.
    Ich drückte die Klinke und trat ein unter dem Gebimmel einer Glocke, die durch das Öffnen der Tür in Bewegung gesetzt wurde. Der Inhaber saß, den Holzrahmen einer Lupe ins Auge geklemmt, hinter dem vitrinenartigen Ladentisch, in dessen gläsernem Inneren ebenfalls Uhren und Ketten ausgelegt waren, und musterte das Räderwerk einer Taschenuhr, deren Besitzer offenbar über sie zu klagen hatte. Das mehrstimmige Tick-Tack der umherstehenden Stutz- und Standuhren erfüllte den Laden. »Guten Tag, Meister«, sagte ich. »Wissen Sie, daß ich Lust hätte, mir eine Uhr für meine Westentasche, auch wohl mit einer hübschen Kette, zu kaufen?«
    »Es wird Sie niemand daran hindern, mein Kleiner«, antwortete er, indem er die Linse vom Auge nahm. »Eine goldene soll es vermutlich nicht sein?«
    »Nicht notwendigerweise«, erwiderte ich. »Ich lege keinen Wert auf Glanz und Flitter. Die innere Qualität, die Präzision, das ist es, worauf es mir ankommt.« »Gesunde Grundsätze. Eine

Weitere Kostenlose Bücher