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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Begeisterung überrieselte den, der es sah, und kalt trat es ihm ans Herze. Die Menge verehrte sie mehr, als daß sie sie bejubelte, betete sie an, wie ich, in der Totenstille, die das Aussetzen der Musik bei ihren waghalsigsten Unternehmungen und Vollbringungen erzeugte. Daß die präziseste Berechnung Lebensbedingung war bei allem, was sie tat, versteht sich am Rande. Genau im rechten Augenblick, auf den Bruchteil einer Sekunde genau, hatte das zu erfliegende, vom Partner verlassene Trapez ihr entgegenzupendeln und nicht etwa eben von ihr zurückzuschwanken, wenn sie nach dem Riesenschwung drüben, dem Salto unterwegs landen wollte. War die Stange nicht da, griffen ihre herrlichen Hände ins Leere, so stürzte sie – stürzte, vielleicht kopfüber, aus ihrem Kunstelement, der Luft, hinab in den gemeinen Grund, der der Tod war. – Diese stets aufs Haar genau auszukalkulierende Knappheit der Bedingungen ließ erbeben.
    Aber wiederholt frage ich hier: War Andromache etwa menschlich? War sie es außerhalb der Manege, hinter ihrer Berufsleistung, ihrer ans Unnatürliche grenzenden, für eine Frau tatsächlich unnatürlichen Produktion? Sie sich als Gattin und Mutter vorzustellen war einfach läppisch; eine Gattin und Mutter, oder jemand auch nur, der es möglicherweise sein könnte, hängt nicht mit den Füßen kopfab am Trapez, schaukelt sich so daran, daß es sich fast überschlägt, löst sich ab, fliegt durch die Luft zu dem Partner hinüber, der sie an den Händen ergreift, sie daran hin- und herschwingt und sie im äußersten Schwunge fahrenläßt, damit sie unter Exekutierung des berühmten Luftsaltos zum anderen Gerät zurückkehre. Dies war ihre Art, mit dem Manne zu verkehren; eine andere war bei ihr nicht erdenklich, denn zu wohl erkannte man, daß dieser strenge Körper das, was andere der Liebe geben, an seine abenteuerliche Kunstleistung verausgabte. Sie war kein Weib; aber ein Mann war sie auch nicht und also kein Mensch. Ein ernster Engel der Tollkühnheit war sie mit gelösten Lippen und gespannten Nüstern, eine unnahbare Amazone des Luftraumes unter dem Zeltdach, hoch über der Menge, der vor starrer Andacht die Begierde nach ihr verging.
    Andromache! Schmerzlich zugleich und erhebend lag mir ihr Wesen im Sinn, als längst ihre Nummer vorüber und anderes an ihre Stelle getreten war. Die sämtlichen Stallmeister und -diener bildeten Spalier: Direktor Stoudebecker kam mit seinen zwölf Rapphengsten herein, ein vornehmer älterer Sportsherr mit grauem Schnurrbart, in Balltoilette, das Band der Ehrenlegion im Knopfloch, in einer Hand die Reitpeitsche zusammen mit einer langen Peitsche von eingelegter Arbeit, die, wie man wissen wollte, der Schah von Persien ihm geschenkt hatte und mit der er wundervoll zu knallen verstand. Seine spiegelnden Lackschuhe standen im Sand der Manege, während er leise persönliche Worte an diesen und jenen seiner prachtvollen Zöglinge mit den von weißem Zaumzeug stolz angezogenen Köpfen richtete, die um ihn herum zu einer nachgiebigen Musik ihre Pas, Kniebeugen und Drehungen ausführten und vor seiner erhobenen Reitpeitsche in gewaltiger Rundparade auf die Hinterbeine stiegen. Ein prächtiger Anblick, aber ich gedachte Andromache’s. Herrliche Tierleiber, und zwischen Tier und Engel, so sann ich, stehet der Mensch. Näher zum Tiere stehet er, das wollen wir einräumen. Sie aber, meine Angebetete, obgleich Leib ganz und gar, aber keuscher, vom Menschlichen ausgeschlossener Leib, stand viel weiter hin zu den Engeln.
    Dann wurde die Manege mit Gittern umgeben, denn der Löwenkäfig rollte herein, und das Gefühl feiger Sicherheit sollte der Menge das Gaffen würzen. Der Dompteur, Monsieur Mustafa, ein Mann mit goldenen Ringen in den Ohren, nackt bis zum Gürtel, in roten Pluderhosen und roter Mütze, trat durch eine kleine, rasch geöffnete und ebenso geschwind hinter ihm wieder geschlossene Pforte zu den fünf Bestien hinein, deren scharfer Raubtiergeruch sich mit dem des Pferdestalles mischte. Sie wichen vor ihm zurück, hockten widerspenstig zögernd unter seinen Zurufen einer nach dem andern auf den fünf herumstehenden Taburetts nieder, fauchten mit gräßlich krausgezogenen Nasen und schlugen mit den Tatzen nach ihm, – mag sein in halb freundschaftlichem Sinn, in dem aber doch auch viel Wut einschlägig war, weil sie wußten, daß sie nun wieder ganz gegen Natur und Neigung durch Reifen zu springen genötigt sein würden, und zwar schließlich durch brennende.

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