Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
einmal neidisch verübelt wurde. Ein Franc, zwei oder drei, selbst fünf, in vereinzelten Fällen verstohlener Zügellosigkeit geradezu zehn Franken, – sie wurden mir von Abreisenden oder von Verweilenden, die sich in Abständen von acht bis vierzehn Tagen einmal erkenntlich zeigten, in die nicht etwa erhobene, sondern anspruchslos niederhängende Hand geschoben, abgewandten Gesichts oder mit einem lächelnden Blick in die Augen, – von Frauen und sogar von Herren, die freilich als Ehemänner öfters von ihren Damen dazu angehalten werden mußten. Ich erinnere mich an so manche kleine eheliche Szene, die ich nicht wahrnehmen sollte und nicht wahrzunehmen mir denn auch den Anschein gab, an kleine Ellbogenstöße in die Seite des Kavaliers, begleitet von einem Gemurmel wie: »Mais donnez donc quelque chose à ce garçon, give him something, he is nice«, worauf dann der Gatte unter einem Gegengemurmel sein Portemonnaie zog und noch hören mußte: »Non, c’est ridicule, that’s not enough, don’t be so stingy!« – Auf zwölf bis fünfzehn Franken brachte ich es immer pro Woche, – ein angenehmer Beitrag zu den Unterhaltungskosten der vierzehntägigen halben FreiTage, die, karg genug, die Verwaltung des Etablissements gewährte.
Zuweilen traf es sich, daß ich diese Nachmittage und Abende zusammen mit Stanko verbrachte, der vom Krankenlager längst wieder zu seinen kalten Schüsseln im Gardemanger, diesem Arrangement von Leckerbissen für große Buffets, zurückgekehrt war. Er war mir gut, und auch ich konnte ihn leiden und ließ mir das Selbander mit ihm in Cafés und Zerstreuungslokalen gefallen, obgleich seine Begleitung nicht eben eine Zierde war. Er wirkte ziemlich strizzihaft und zweideutig exotisch in seiner Ziviltracht, deren Geschmack zu sehr aufs Großkarierte und Kunterbunte ging, und viel günstiger nahm er sich zweifellos aus in seinem weißen Berufshabit, die zünftige hohe Leinenmütze der Köche auf dem Kopf. So ist es: der arbeitende Stand sollte sich nicht ›fein machen‹ – nicht nach städtisch bürgerlichem Vorbild. Er tut es nur ungeschickt und erweist seinem Ansehen keinen Gefallen damit. In diesem Sinn habe ich mehr als einmal meinen Paten Schimmelpreester sich äußern hören, und Stanko’s Anblick erinnerte mich an seine Worte. Die Erniedrigung des Volkes, sagte er, durch die Anpassung ans Feine, wie die Normierung der Welt durchs Bürgerliche sie mit sich bringe, sei zu beklagen. Die festtägliche Volkstracht des Bauern, der Gildenaufzug des Handwerkers von einst seien zweifellos erfreulicher gewesen als Federhut und Schleppkleid für die plumpe Magd, die am Sonntag die Dame zu spielen versucht, und die ebenso unbeholfen dem Feinen nachstrebende Feierkluft des Fabrikarbeiters. Da aber die Zeit vorüber sei und vergangen, wo die Stände sich in malerischer Eigenwürde voneinander abhoben, wäre er für eine Gesellschaft, in der es Stände überhaupt nicht, weder Magd noch Dame, weder den feinen Herrn noch den unfeinen mehr gäbe, und alle das gleiche trügen. – Goldene Worte, mir aus der Seele gesprochen. Was, dachte ich, hätte ich selbst gegen Hemd, Hose, Gürtel, und damit Punktum? Es sollte mir schon anstehen, und auch Stanko’n würde es besser passen als die danebengehende Feinheit. Überhaupt steht dem Menschen alles, nur das Verkehrte, Dumme und Halbschlächtige nicht.
Soviel am Rande und als à propos. Mit Stanko also, dann und wann, eine Zeitlang, besuchte ich die Cabarets, die Café-Terrassen, zumal die des Café de Madrid, wo es um die Stunde des Teaterschlusses sehr bunt und lehrreich zugeht, aber einmal besonders auch die GalaSoirée des eben für einige Wochen in Paris gastierenden Cirkus Stoudebecker. Über diesen denn doch hier zwei Worte oder einige mehr! Ich würde es meiner Feder nicht verzeihen, wenn sie ein solches Erlebnis nur eben streifte, ohne ihm etwas von der Farbe zu verleihen, die es in so hohem Maße besaß.
Das berühmte Unternehmen hatte das weite Rund seines Zeltes nahe dem Téâtre Sarah Bernhardt und der Seine, am Square Saint Jacques aufgeschlagen. Der Zudrang war ungeheuer, da augenscheinlich die Darbietungen dem Besten gleichkamen oder es übertrafen, was je auf diesem Felde eines kühnen und hochdiziplinierten Haut-goût angeboten worden war. Welch ein Angriff auf die Sinne, die Nerven, die Wollust in der Tat, ein solches in ununterbrochenem Wechsel der Gesichte sich abrollendes Programm phantastischer, an die Grenze des
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