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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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explodierende Wasserbombe malt ihm keiner nach.«
    »Es ist doch immer wieder anregend, einen Mann vom Fach zu hören, findest du nicht auch, Eugenie?«
    Hoheit führten bereits den letzten Happen zu Munde und nickten pausbackig, was ihre Erscheinung um Klassen senkte. Robert gewahrte den geleerten Teller seiner Herrin und begann rücksichtslos abzuräumen, wodurch Lukas mindestens zweier Sardellen sowie einer Kaper verlustig ging. Verstört überprüfte er sein Gedeck. Auf dem Platzteller aus schwerem Silber befand sich nur noch einer aus Meißen. An Besteck waren ihm Messer und Gabel sowie ein kleiner Löffel verblieben. Sein Magen durfte also noch hoffen, was seinem Herzen immer schwerer fiel.
    Marie-Luise nahm wiederum keinerlei Notiz von ihm. Hoheit hatten mittlerweile ausgekaut und rissen die, nach ihrem Empfinden, für Lukas zu positive Unterhaltung wieder an sich.
    »Marilou weiß noch gar nicht, was ihr Schönes bevorsteht!« sagte sie, Onkel und Tante zulächelnd. Die Tochter errötete prophylaktisch.
    »Was denn, Mamachen?«
    »Du wirst bei Albertines Hochzeit Brautjungfer sein!«
    Marie-Luise atmete ob dieser neuen Jungfernschaft erleichtert auf.
    »O fein, Mamachen! Da brauche ich aber unbedingt ein neues Kleid.«
    »Bedanke dich bei deiner Tante, sie hat das arrangiert«, riet Wanda gedämpft.
    »Dank’ dir, Tantchen. Wann ist es denn?«
    »In vierzehn Tagen«, kamen Hoheit, halb zu Lukas gewandt, der Tante zuvor, »und wenn Tante Friederike und Onkel Karl-Eugen einverstanden sind, darfst du anschließend noch mit ihnen zu Thérèses Geburtstag.«
    »Da mußt du mich allerdings sehr schön bitten, Marilou«, lachte Onkel Karl-Eugen.
    Diese Art der Zweckentfremdung mittels Familientournee war Lukas neu. Er sah die Gefahr. Bei der Größe der Verwandtschaft und ihrem Drang zu exklusiver Sippenpflege konnte ihm Marie-Luise mühelos auf Monate entzogen werden. Wanda forschte in seinen Zügen; er rettete sich in die Vertraulichkeit.
    »Ich wüßte ein passendes Kleid für Sie!«
    Jetzt mußte Luischen ihn nicht nur ansehen, sondern auch antworten.
    »So? Was für eines?«
    Alle Blicke waren auf ihn gerichtet.
    »Wir haben es neulich zusammen angesehen. Bei Podolsky. Das im linken Fenster.«
    Luischen reagierte mädchenhaft spontan.
    »O ja, du...« Sie erschrak und fuhr zu ihrer Tante gewandt fort: »Du... du, Tantchen, das ist todschick! Oben ganz einfach, hochgeschlossen mit angeschnittenem Kragen.«
    Hoheit hatten den Lapsus linguae bemerkt; Lukas eilte zu Hilfe.
    »Es dürfte allerdings sehr teuer sein, Hoheit.«
    Da nahte Robert, dieselbe Platte schwingend. Diesmal trug sie sechs Muscheln mit überbackenem Ragout fin. Dazu wurde Reis gereicht und Wasser aus geschliffener Karaffe.
    »Es ist nicht gut, abends Alkohol zu trinken«, erläuterten Hoheit und begannen sofort hastig mit der Gabel zu stochern.
    »Das vornehmste Element ist das Wasser, hat Pindar gesagt«, verkündete Lukas mit großem Ernst.
    Wanda übernahm für ihre futternde Herrin die weitere Unterhaltung.
    »Sie lieben Aphorismen?«
    »Soweit sie nicht durchs Quiz verbraucht sind, ja.« Tante Friederike schüttelte belustigt den Kopf.
    »Der Mann hat Einfälle...«
    »Hoheit und ich sind von der antiken Weisheit besonders angetan. Und da besonders von Menander«, fuhr Wanda fort.
    »Hm. Ein sehr amouröser Dichter.«
    Hoheit sahen ihn durchdringend an.
    »Ein Wort von Menander liebe ich besonders: >Der Arzt aller notwendigen Übel ist die Zeit!< — Wie finden Sie
    das?«
    Lukas genoß ihre Schärfe.
    »Ausgezeichnet, Hoheit. Ansonsten bin ich mit Menander vorsichtig. Er hat nämlich auch gesagt: »Der Mensch ist an sich schon ein hinreichender Grund zur Traurigkeit!<«
    Hoheit hatten schon wieder aufgegessen. Und abermals entzog ihm Robert den halbvollen Teller.
    »Und wo bleibt das Amouröse, wie Sie vorhin sagten?« wollte die Tante wissen.
    »Oh, da gibt es eine Menge Beispiele. Sie passen nur nicht alle zu Reis.«
    Die Tante strahlte.
    »Sehr witzig!«
    Er lächelte zurück. Dann gab es Pudding. Das angetippte Thema ließ auch Wanda nicht mehr ruhen. Verschämte Erotik blinzelte aus dem Korsett der überholten Form. »Also, was hat er gesagt?«
    Selbst Onkel Karl-Eugen kam kurz an Land.
    »Ja, was hat er nun gesagt?«
    Lukas mußte innerlich lachen: Auf einmal werden sie menschlich. Sie sind, wie hochkomplizierte Roboter, im Schaltschema gefangen. Eine kleine Schraubendrehung, und sie wären normal. Doch allein schaffen sie es nicht.

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