Bekentnisse eines möblierten Herren
der Tasche und machte sich Notizen auf der Rückseite des Couverts. Die schöne, teure Frau futterte Derbes mit großer Damenhaftigkeit aus einem Fächerteller. Sie genoß den Kontrast und erholte sich zusehends von den Hemmnissen des Wohlstandes.
»Und was versprechen Sie sich von einem ironischen Stil?« fragte sie.
»Alles! Ironie ist die Grenze zwischen Eitelkeit und Weisheit und somit die menschlichste Ausdrucksform.«
»Du wirst doch nicht noch ein zweiter Thomas Mann werden?« bemerkte der Kahlere und schnippte mit seinen Fingernägeln. Hubert schüttelte den Kopf.
»Dazu war ich zu lange erfolglos, wenn dich das beruhigt. Ich bin mehr Epikuräer. Das Leben hat mich gezwungen, meine Erkenntnisse durch Selbstzucht in Seelenruhe umzuwandeln. Auch eine Regiefrage...«
»Du machst da einen Fehler«, ließ sich der Behaartere vernehmen, »du glaubst...«
»Ich glaube überhaupt nicht. Das heißt, natürlich glaube ich, aber erst wenn ich mit Denken nicht mehr weiterkomme, was natürlich immer wieder der Fall ist.«
»Vorsicht, er steuert sein Lieblingsthema an«, unterbrach Lukas, und in Huberts bedächtigem Tonfall fortfahrend: »Die Religion, die das Bewußtsein als Fluch ansieht, lehrt uns, zu glauben; die Philosophie lehrt uns, zu denken und zu suchen, ohne gleich zu glauben...« Hubert nickte eifrig und fuhr fort:
»Die Religion ist daher vitaler, die Philosophie aber produktiver...«
Und abermals übernahm Lukas: »Und dazwischen sitzen wir.«
Hubert zog die Brauen hoch.
»Woher weißt du?«
»Nicht von dir, sondern bereits aus eigener Erfahrung.«
»Wenn du das alles in deinem Stück unterbringen willst, werde ich dich so verreißen, daß es über die Premiere nicht hinauskommt«, brummte der Kahlere.
Lukas lachte.
»Er wird es so ironisch bringen, daß du noch mehr hineingeheimnissenmußt, um damit zu beweisen, wie weit die Fieberkurve deines Geistes über den Feuilleton-Strich hinausragt.«
»Ein Autor, der den Kritiker aufs Hochseil fordert, hat bereits gewonnen«, sagte die schöne, teure Frau, und niemand bewunderte mehr ihren Schmuck.
»Die Ironie ist sogar in der Lage, aus Intellektuellen Freunde zu machen.« Und wie zur Bekräftigung drückte Hubert seine Zigarre aus.
»Jetzt wird’s mir zu hoch«, stöhnte Peter.
»Das hoffe ich schon lange«, sagte Hubert, »du bist Maler. Denken schadet dir nur.«
»Soll das ein Kompliment sein?«
»Eine Tatsache. Keiner kann mehr malen, als er glaubt. Nicht, als er denkt!«
»Womit wir wieder beim Thema wären«, sagte der Kahlere.
Frau Müller-Passavant lehnte sich mit verschränkten Armen vor. »Damit behaupten Sie also, daß man durchaus mehr schreiben kann, als man glaubt?«
»O ja«, seufzte der Behaartere aus vollem Journalistenherzen. Hubert hatte sorgfältig eine neue Zigarre aus der Zellophanhülle gewickelt und abgeschnitten. Während er die Spitze mit einem Streichholz erhitzte, fuhr er fort: »Wer nicht denken kann, muß glauben; wer nicht glauben kann, muß denken. Ich glaube aber, daß auch der, der denkt, wenn er zu Ende denkt, wieder glaubt. Und wenn er nur glaubt, daß er nicht glaubt. Dann nämlich denkt er, er denke modern, sei mit überdurchschnittlicher Klugheit begabt — und damit glaubt er auch schon wieder.«
Der Behaartere reichte Hubert seinen Bleistift.
»Schreib dir das auf! Der Satz macht sich auf der Bühne wesentlich besser als bei Tisch.«
»Besonders, wenn er schnell gesprochen wird«, fügte der Kahlere hinzu.
Hubert tastete seine Jacke ab und förderte einen eng beschriebenen Zettel zutage.
»Oh, der erste Akt!« lachte Ines.
»Paßt mal auf«, sagte Hubert verschmitzt blinzelnd und begann zu lesen: »Wenn man die Welt mit dem Tag vergleicht, so ist die Gegenwart die Zeit nach Mitternacht, bei Schnaps und Weibern in einem billigen Lokal. Wir halten unsere Langeweile gegen die einschläfernde Wirkung der Musikbox mit Pillen wach. Am Tisch der Soldaten in der Ecke gibt die Kellnerin eine Striptease-Einlage; das Radio meldet eine lahme Katastrophe mit einhundertvierzigtausend Toten, der Wirt schaltet gähnend ab. Ein betrunkener Handelsvertreter wirft Erdnüsse ins Dekolleté der Bardame; vor dem Spielautomaten ein müder Mord. Die Funkstreife kommt, doch niemand will an die frische Luft…«
Man sah sich an.
»Das ist ja ein Ballett«, höhnte der Kahlere.
Daniela strich Hubert über das weiße Haar.
»Nein, das hat er besonders schön gesagt.«
Hubert schob den Zettel in die Tasche und zog an
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