Bekentnisse eines möblierten Herren
die Freundin.
Ein Klingelzeichen enthob sie weiterer Mühsal.
»Also dann...«
Schweigend im Strom wurden sie wieder hineingeschoben; Frau Müller-Passavant einen halben Schritt voraus. »Hübsches Mädchen«, sagte sie während einer Stockung.
Der Gebrauch des Singulars entging ihm nicht.
»Finden Sie?«
Der Strom setzte sich wieder in Bewegung.
»Sie nicht?«
»Ich muß es wohl einmal gefunden haben. Ich war immerhin mit ihr verlobt.« Sie spielte mit ihrer Perlenkette; er nahm die Unterarmstütze wieder auf.
Der zweite Teil bot einen Querschnitt durch das spanische Lied vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Der schwere Mann stellte den schweren Fuß auf das rührende Schemelchen, begann und verblieb in Moll. Lukas beharrte in Dur.
»Ingrid! Fremd wie ein unverhofft aufgetauchter Schulfreund! Rührend gutartig... sah nett aus... liebenswerte Kleinstadt. Noch genau so, wie ich sie verlassen habe. Vielleicht etwas molliger. Und immer noch künstlerisch ambitioniert, nie ergriffen, erschrickt vor jedem Kunstwerk. Wie sie Frau Passavant angesehen hat!<
Er wechselte die Stützlage von der linken Lehne auf die rechte. Sein Ellenbogen berührte den ihren; sie blieb. Ein wärmendes Gefühl breitete sich von der Stelle aus. Ihre Hände spielten wieder mit dem Programmheft. Applaus. Ein höfisches Lied aus dem achtzehnten Jahrhundert folgte. Lukas glaubte eine gewisse Systematik in der spanischen Musik zu erkennen. Fingerläufe in Diskantlage, dann schwer betonter, mit dem Daumen durchgeschlagener voller Mollakkord. Da, jetzt wieder! Ritardando, Flageolett im Barré, schnell zupfende Finger der rechten Hand — Daumen. Nochmal Daumen. Langanhaltender Schlußbeifall, gespendet in der gemessenen Lautstärke eines ehrlich beglückten Auditoriums. Lob der vorderen Sitze: Sie trafen keine Bekannten mehr.
Ob sie noch zu dem Konsul geht? dachte Lukas an der Garderobe, während er ihr in den grauen Nerzmantel half. Am liebsten würde ich sie in den »Späten Schoppen« mitnehmen. Es ist noch viel zu früh, um schon nach Hause zu gehen. Hubert und Daniela kennt sie ja schon. Vielleicht ist Hubert allein?
Die erste Überraschung bot sich bei dem gußeisernen Stammtischherold.
»Nein, ist der herrlich!« sagte Frau Müller-Passavant und hob ihn auf.
Hubert, Daniela, Ines, Peter und die beiden Wolfgänge nahmen das gezollte Verständnis mit Selbstverständlichkeit hin ; an den umliegenden Tischen reckten die Bürger die Hälse nach der schönen, teuren Frau.
Die zweite Überraschung bot sich bei Kathi.
»Ja, die Kathi«, schüttelte Lukas der Treuen die Hand, »und schon wieder eine neue Frisur!« Dann stellte er sie Frau Müller-Passavant vor: »Das ist unsere Kathi.«
Die Treue wurde ganz verlegen, doch die Teure reagierte mit großer Herzlichkeit.
»Guten Tag, Kathi«, und gab ihr die Hand. Lukas lächelte dankbar. Er hatte sich nicht geirrt. Während er die Bestellung aufgab, lief das Gespräch weiter.
»Soso, dann verläßt du uns jetzt?« sagte Daniela zu Hubert.
»Wieso«, fragte Lukas.
Daniela strich Hubert über das Haar.
»Unser kluges Köpfchen geht in Klausur. Er will ein Theaterstück schreiben. Pfeiffer hat ihn dazu angeregt.« Und zu Frau Müller-Passavant gewandt: »Auf Ihrer Party.«
»Das wäre ja wunderbar«, sagte die Angeredete, »dann hätte endlich mal eine Party Sinn gehabt.«
»Davor ist man nie sicher, gnädige Frau«, entgegnete Hubert, »bei aller Ablehnung, mit der man sich darüber stellt. Ging mir auch so.«
Ines versuchte zu dämpfen.
»Du bist aber heute sehr ironisch.« Hubert schob die Zigarre in den Mund und sah sie abwesend an.
»Du bringst mich auf eine Idee. Natürlich! Es muß ein ironisches Stück werden.«
»Das dürfte es auf jeden Fall werden, egal wie du’s anfängst«, stichelte der kahlere Wolfgang.
»Was hattest du denn ursprünglich vor?« fragte Lukas.
»Ein ernstes! Ich Anfänger!«
»Lehnen Sie Ernst grundsätzlich ab?« fragte Frau Müller-Passavant. Hubert ehrte ihr Interesse, indem er die Zigarre weglegte.
»Als Absicht unbedingt. Er macht so einseitig. Maschinen sind ernst, das ist schon traurig genug. Maschinen sind wie hochentwickelte Deutsche: trocken und akkurat.«
»Herrlich!« rief der behaartere Wolfgang, »das muß ich mir aufschreiben!«
»Das schreibst du dir nicht auf! Das schreibe ich mir auf! Gib mir deinen Bleistift! Noch einmal möchte ich vor meinem Ableben zu den größten Hoffnungen berechtigen!« Hubert zog einen alten Brief aus
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