Bekentnisse eines möblierten Herren
hatte seine Aufmerksamkeiten im Austausch schon am Nachmittag übergeben: ein Buch mit Aussprüchen von Hrabanus für sie ; Gasfeuerzeug für ihn; ein mit Schlagertexten bedrucktes Kopftuch für Andrea und für Gerda eine Flasche Eau de Cologne. Dafür war er in den Besitz eines Christstollens, eines Tischzweiges mit dicker Kerze, einer Flasche Kognak sowie des Buches »Lache in allen Lebenslagen« gekommen.
Den Papierkorb zwischen die Knie geklemmt, saß er vor dem Fernsehapparat und bemühte sich — mit der Nagelschere zunächst — den unbarmherzigen Abend totzuschlagen. Auf dem Bildschirm flimmerte Max Melis »Apostelspiel«; von draußen dröhnten sämtliche Kirchenglocken — die Sentimentalität kroch durch alle Ritzen. Wo hätte er hin sollen? Hubert hatte sich in die Klausur zurückgezogen, er schrieb nun doch an seinem ironischen Stück; Peter und Ines, das unbürgerliche Paar, waren zu seiner Mutter gefahren; zu den Wolfgängen wollte er nicht, sie waren Norddeutsche und aßen Fisch mit viel Gräten, und Daniela hatte sich gestern ins Flugzeug nach London gesetzt. Ihr geschiedener Mann war verstorben, nicht ohne ihr einen beträchtlichen Teil seines Vermögens zu hinterlassen — der Gentleman.
Es klopfte. In hochgeschlossenem Samtkleid mit weitem Rock trat die Dame des Hauses ein.
»Ich möchte Sie zum Abendessen bitten!«
Lukas, in Hemd und Hose, den Papierkorb in der Hand, machte ein erstauntes Gesicht.
»Ja, aber heute...«
»Gerade heute! Ich habe mit meinem Mann gesprochen
»Das ist sehr lieb von Ihnen...»
»In einer Viertelstunde essen wir.«
Als Lukas eintrat, kam ihm Alfredo in Smoking und weihnachtlicher Güte entgegen.
»Ja, unser lieber Hausbeschützer! Das ist nett, daß Sie mit uns feiern wollen. Kommen Sie, ich will Sie mit meinen Eltern bekannt machen. — Sie sind schon sehr alt«, fügte er vorbeugend hinzu.
Der große Empire-Schreibtisch war in eine opulente Gabenauslage verwandelt. Die wurmstichige Lehne des Schreibtischsessels trug einen lauten Ozelotmantel mit der gelassenen Würde seiner Zeit. Vor dem Tisch mit dem Rücken zu ihnen stand, in grau-schwarzem Anzug mit schmalen, abfallenden Schultern, ein alter Mann, bemüht, den Goldreif einer hochkarätigen Armbanduhr an seinem Handgelenk zu befestigen.
»Vater«, sagte Alfredo und legte ihm die Hand auf die Schulter, »das ist Herr Dornberg.«
Der Mann drehte sich um, immer noch die Uhr in den Händen, und sah Lukas mit müden, ehrlichen Augen an. »...ich... ich komm’ da nicht zurecht.« Er beugte sich wieder über das massive Geglitzer.
»Ich helfe Ihnen«, erwiderte Lukas, noch ehe Sohn Alfredo die Lage erfaßt hatte, legte die breite Goldspange um das trockene Handgelenk und hakte sie in die Lasche am Uhrgehäuse ein.
Indessen nahm ihn der Alte wahr. »Sie sind also der Herr, der so gut auf das Haus aufpaßt? Ja, ja, mein Sohn hat mir schon erzählt. Ist auch ein schönes Haus...«
»So«, sagte Lukas, ließ die Linke des Vaters los und drückte ihm die Rechte.
»Danke schön, danke schön, Sie sind sehr freundlich, sehr freundlich.«
Alfredo drängte weiter.
Auf dem Kaminsims standen die lieblosen Herzlichkeiten aufgereiht: Gedruckte Weihnachtsgrüße.
»Ist alles heute gekommen«, bemerkte Alfredo, »Wünsche aus der ganzen Welt.«
Hinter der Ecke mit dem Cembalo vor dem Gartenfenster stand der Baum. Hier unterhielten sich die Damen. »Das ist Herr Dornberg, Mutter.«
Eine dickliche Frau in schwarzem Kostüm mit aufwendigem Brillantclip am Revers drehte sich, das weiße Haar vom Ehrgeiz eines Provinzondulators in verwegene, flachgepreßte Kurven gezwungen, zu ihm um.
»So, grüß Gott, Herr Dornberg, freut mich, Sie kennenzulernen!«
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, Andrea und die Hunde stürmten herein. Tobby, Bobby und Hobby umringten Lukas und sprangen, lautstark ihre Freude bekundend, an ihm hoch.
»Ja, so eine Freude«, rief Alfredos Mutter, »das ist aber herzig.« Und zu ihrer Schwiegertochter gewandt, so, daß Lukas es hören mußte, fügte sie noch hinzu: »Weißt du, Lilly, ich sag’ immer: Wen Tiere liebhaben, der kann kein schlechter Mensch sein.«
»Da hast du ganz recht, Mutter«, erwiderte die Schwiegertochter und lächelte Lukas zu.
»Wollt ihr wohl aufhören, an Weihnachten so einen Krach zu machen«, herrschte Alfredo die Verspielten an und wies ihnen die Tür. »Hierher, Tobby, los!«
Kind Andrea, im blauen Seidenkleid, zupfte Lukas am Ärmel: »Schauen Sie mal
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