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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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    Die Faszination, die von dem Spiel des Spaniers ausging, griff auch auf den Zufallsgast in der Mitte der ersten Reihe über. Mit einer Sensibilität, die man in den kurzen, runden Fingern nie vermutet hätte, setzte der wie ein gutmütiger Onkel aussehender Iberier Griffe über fünf Bünde, wechselte blitzschnell zwischen Vibratis in halsbrecherischen Lagen und ließ Flageoletts über alle Saiten erklingen, die fern jeder Artistik ihn und sein Instrument weit über den Rahmen des Gewohnten hinaushoben. »Wie macht er das nur?« sagte Frau Müller-Passavant, begeistert klatschend, als das Stück zu Ende war.
    Der Spanier verbeugte sich, stimmte kurz nach und wartete gelassen, bis auch der letzte Huster sich wieder beruhigt hatte.
    Eine Toccata von Scarlatti folgte.
    Es ist ein eigenartiges Gefühl, neben einem wohlbekannten und doch fremden Menschen im Konzert zu sitzen, seine Schwingungen aufzunehmen und die eigenen preiszugeben. Das gemeinsame Erlebnis zwingt einen zusammen, man vergißt die Umwelt, möchte aufmachen, sich dem anderen mitteilen und ihn fragen, ob es ihm nicht ebenso ergehe. Im Konzert rücken die Menschen zusammen. Vorsichtig sah Lukas zu ihr hinüber. Mit entspannten Zügen, ein völlig anderer Mensch als sonst, saß sie neben ihm. Enges, schwarzes Kleid von teuerster Einfachheit, Perlenkette und Brillantring, die Beine übereinandergeschlagen, dezente Strümpfe, kleine, dunkle Härchen auf dem Schienbein, schmale Gelenke und sehr zierliche Füße, in hohen Pumps. Sie schien seinen Blick zu fühlen und rollte das Programmheft zusammen. Lukas wollte sich gerade abwenden, doch die nervöse Bewegung ihrer Finger übte einen eigentümlichen Reiz auf ihn aus, er mußte weiter hinsehen, bis langer Beifall, in den auch sie einfiel, sowie das Klappen der Sitze hinter ihnen die Pause ankündigte. Er stand auf, schloß die Jacke seines Flanellanzugs und hielt Frau Müller-Passavant leicht am Unterarm. Schweigend im vielschichtigen Strom der Meinungen und Parfüms wurden sie hinausgeschoben und schwenkten in den allgemeinen Rundlauf ein.
    »Wie in der Trinkhalle eines Badeorts«, spottete Lukas. »Was ist denn das für ein Publikum heute?« fragte sie, sich umsehend. Hatte Lukas im ersten Augenblick an eine snobistische Äußerung von Unwillen geglaubt, mußte er ihr doch sogleich beipflichten. Neben den üblichen Konzertenthusiasten und Snobs bewegte sich da an der Seite wetterharter Wildwasserfahrer viel Handgewebtes mit Knoten und gehämmerten Broschen. In gar manchem Aug’ glomm heimlich das Lagerfeuer.
    »Sie haben recht«, antwortete er, »das sind die Anhänger der bebänderten Gitarre.«
    Sie lachte vor sich hin.
    »Der Deutsche muß halt aus jedem Instrument eine Waffe oder eine Weltanschauung machen«, fügte er noch hinzu.
    Sie blieb stehen und sah ihn an.
    »Von der Seite kenne ich Sie gar nicht.«
    Hinter einer Hermesstatue zweifelhafter Herkunft brach Präsident Henrici nebst Gattin hervor.
    »Ach, sieh mal an!« flötete die Schenkelstarke, unter schwerem Münzgeklapper nach ihrer Frisur tastend. »Ist er nicht himmlich? Im zweiten Stück dieses Adagio...« Handküsse. Förmliches.
    »Wir haben eben Fleischers gesprochen, die sind auch ganz hingerissen«, bemerkte der Präsident.
    »Wo ist denn Alfredo?« Sie zupfte hinten an ihrem perlgrauen Brokatkleid das Korsett zurecht.
    »Besprechung.«
    »Und wie gefällt es Ihnen, Herr Dornberg?«
    »Danke, ich genieße.«
    Endlich hatte Präsident Henrici den Erfrischungsraum entdeckt.
    »Ich muß unbedingt was trinken. Also: Bis später...«
    Die Schenkelstarke drehte sich noch einmal um.
    »Wenn ihr den Meister kennenlernen wollt, wir sind nachher alle beim spanischen Konsul. Kommt doch hin.«
    »Mal sehen.«
    »Tschau.«
    Aufatmend ordneten sie sich wieder in den Rundlauf ein.
    »Wie ich dieses Gerede in der Pause hasse!« sagte Frau Müller-Passavant mit Nachdruck. »Dieses »Ist er nicht himmlich?«, »Wie finden Sie es denn?«...«
    »Wie findest du’s denn, Lukas?« fragte eine helle Stimme hinter ihnen. Sie drehten sich um. Eingehakt, in ordentlichen, dunklen Kleidern, standen zwei junge Mädchen vor ihnen.
    »Ja, Ingrid!« sagte Lukas erstaunt. — »Fräulein Bremer, Fräulein Breuer — Frau Müller-Passavant.«
    Es entstand eine Pause.
    »Wie geht’s dir denn? Hab’ dich ewig nicht gesehen!« überbrückte Lukas, bar jeden Einfalls.
    »Danke gut. Und dir?«
    »Danke, auch gut!«
    »Wir sind ganz begeistert«, sagte

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