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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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dem Boulevardtheater denken: >Wenn Er mehr sieht, als Sie ahnt, Sie aber noch mehr ahnt, als Er sieht — handelt es sich um ein Négligé.<
    »Setzen Sie sich zu mir, Body. Ja?«
    Pedantisch auf seine Bügelfalten bedacht, glitt er an ihre Seite.
    Sie öffnete ihr Haar, schüttelte es aus und verlor sofort an Grazie und Rasse.
    »Jetzt kommt es doch noch zum Schönsten.«

    Lukas hatte einen guten Tag. Nach dem Mittagessen mit dem Werbeleiter durfte er sich an Ort und Stelle über die Herstellung von Zigaretten informieren. Bei dieser Gelegenheit wurde er einem runden Dutzend weiterer Herren vorgestellt, die er, der schlechthin perfekten Höflichkeit wegen, die sie ihm angedeihen ließen, mit dem besten Willen nicht auseinanderhalten konnte. Sie stellten eine Unmenge äußerst durchdacht wirkender Fragen, bis er den Verkauf von Zigaretten für eine nur durch langjähriges Studium der Psychologie zu erlernende Geheimwissenschaft hielt, und beantworteten seine aus dem Stegreif entwickelten Ideen mit derart glattem Beifall, daß er nicht umhin konnte, sich als Nestor der deutschen Werbung zu fühlen. Schließlich wurde in schweren Ledersesseln unter dem feierlichen Glimmen der obligatorischen Geschäftszigarren ein wohlhonorierter Probevertrag geschlossen, worauf er sich nach mäßigem Weinbrand und übermäßigem Händeschütteln, mit einem dicken Bündel Werbebroschüren unter dem Arm, endlich zu seinem bescheidenen Gefährt zurückziehen durfte.
    Wie verabredet, fuhr er sogleich zu Frauke, um den Erfolg in der von ihr bevorzugten Manier zu feiern.
    »Body«, rief sie aus der Gegend seiner linken Kniescheibe — in dem kreisrunden Bett verlor man ständig die Orientierung — »Body, ich muß Ihnen ein Geständnis machen.«
    Und sie klärte ihn auf, daß Fortuna das berufliche Füllhorn auf ihr Betreiben über ihm ausgegossen habe. Kalt sah er sie an.
    »So lasse ich mich nicht einkaufen!«
    Sprach’s, verhüllte sich und ging. Die Zwischenbilanz war fällig.

    14. Oktober: Zum Tee bei Frau Müller-Passavant. Ich sickere langsam in die Gesellschaft ein.

    20. Oktober: Alfredo geht nur ins Theater, wenn es sich um renommierte Gastspiele handelt. — Der Snob ist der Infanterist des Kulturlebens.

    Party: High society als mühsamer Arbeitsplatz unverstandener Frauen.

    28. Oktober: Geld macht das Leben möglich, Naivität macht es erträglich.

    30. Oktober: Donicke wollte mich ausschalten! Der Brutale ist dem Sensiblen zunächst überlegen, weil der mit Minderwertigkeitskomplex reagiert. Erst später erkennt der Sensible, daß der andere nie eine Konkurrenz für ihn war ; jetzt überflügelt er ihn mühelos.

    Frauke: Wohlriechende Episode in der nervösen Pause vor einem wichtigen Ereignis.

    Frauen, die ständig von ihren Erfolgen bei Männern sprechen, sind nie genügend gewürdigt worden. (Daher auch sentimental.)

    Er blätterte um und griff zur Feder.

    31. Oktober: Vertrag! Erste Konfrontierung mit der exakten Fließbandherzlichkeit eines Konzerns. Dann Fraukes Geständnis. Suchender, an falscher Küste gestrandet, wird in Versuchung geführt und muß zurück ins Wasser.
    Keine Frau, die mich protegiert, brauche ich, sondern eine, die mich inspiriert. Warum finde ich sie nicht? Weil ich suche!

    Eigentlich hatte Lukas an diesem Abend in den »Späten Schoppen« gehen wollen. Statt dessen saß er jetzt im Konzert. Einsam in der Mitte des riesigen Podiums stand einer jener hellen, lieblos entworfenen Stühle, wie sie nur ein ebenso liebloser, »Amtmann für öffentliche Sitzgelegenheiten« in einer Stadtverwaltung beschaffen kann.
    Rechts vor der kommunalen Scheußlichkeit stand ein kleines Schemelchen, aus rohen, unpolierten Brettchen zusammengesetzt, das trotz seiner Einfachheit etwas Rührendes hatte. Auf dem registrierten Stuhl saß jetzt, mit weichem Umlegkragen zum Frack, den linken Fuß auf dem Schemelchen, der massige alte Mann und spielte Bach. Auf der Gitarre. Lukas wäre nie auf den Gedanken gekommen, ein Konzert zu besuchen, in welchem klassische Musik ausgerechnet und ausschließlich auf diesem Instrument dargeboten wird. Er war schon im Aufbruch gewesen, als — erstmals seit seinem Einzug vor drei Monaten — Alfredo Müller-Passavant an seine Tür geklopft hatte. Wie immer in tadellosem Nadelstreifenanzug mit zur Krawatte passendem Tuch in der Brusttasche, hatte er ihn zu dem Ereignis überredet, das er selbst, einer unerwarteten, wichtigen Besprechung mit »Herren von auswärts« wegen, nicht

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